Der Feuergeist von Richard Dehmel

Ein Jüngling, wortgewandt, und sehr fürs Volkswohl glühend,
oder galt seine Glut mehr seinem Rednerruhm?
wer weiß – denn eines Tags nach einer Wahlversammlung
sprach er zu einem Freund: welch grenzenloses Glück,
so ganz entbrannt zu sein, daß alles mitentbrennt,
so Flamme durch und durch, daß sich der Geist vesuvisch
am eignen Wort entflammt und jeden andern Geist
rings um sich her verzehrt! – der wurde selbigen Nachts
von einer Feuersbrunst jäh aus dem Schlaf geweckt.
10 
Er sah, noch halb im Traum, durch die verkohlte Tür
11 
den Brand nach seinem Bett mit riesiger Zunge lecken,
12 
wollte um Hilfe schrein, sprang auf, sah rings die Wände
13 
Rauch spein, die Dielen sprühn, schrie Gnade, stotternd Gnade,
14 
sah nichts mehr, schrie nur, sah: alles verzehrend fraß
15 
der glühende Atem um sich, vesuvisch. Und – o Gnade –
16 
was war das? Luft! Er sah sich zusammenbrechen, fühlte
17 
sich hochgerissen plötzlich, getragen, weggetragen,
18 
durch klirrende Fenster, Wolken, Nachtwolken, Luft – o Glück –
19 
o grenzenloses Glück – durch frische Luft getragen,
20 
von Fäusten, Retterfäusten, hinab. So kam er zu sich,
21 
stand unten, sah hinauf, sah rings das Volksgetümmel
22 
vom Feuer geisterhaft beleuchtet, wollte sprechen,
23 
Dank sagen, Dank, o Dank – und sprach, sprach nicht, schrie, schrie nur,
24 
stotternd und lallend: Gnade! Gnade! – Die Zunge war
25 
für immer ihm gelähmt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.1 KB)

Details zum Gedicht „Der Feuergeist“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
206
Entstehungsjahr
1913
Epoche
Moderne

Gedicht-Analyse

Das hier vorgestellte Gedicht trägt den Titel „Der Feuergeist“ und wurde von Richard Dehmel verfasst - einem deutsche Dichter, der von 1863 bis 1920 lebte. Da Dehmels Hauptwerk zur historischen Epoche des Naturalismus zählt, kann man durch diese zeitliche Einordnung dem Gedicht wahrscheinlich eine Entstehung gegen Ende des 19. oder Beginn des 20. Jahrhunderts zuordnen.

Schon auf den ersten Blick fällt die ungewöhnliche Struktur des Gedichts auf: Es besteht aus einer langen, einheitlichen Strophe von 25 Versen. Das gibt dem Ganzen einen durchgängigen und fließenden Charakter. Darüber hinaus ragt der dramatische Inhalt hervor, so dass man bereits beim ersten Lesen eine gewisse Spannung spürt.

Zum Inhalt: Der Erzähler berichtet im Gedicht von einem jungen Redner bzw. politischen Aktivisten, der in einer rhetorisch leidenschaftlichen Rede sein Publikum anzufachen weiß. Er ist von seiner eigenen Begeisterung und der Macht seiner Worte überzeugt. Ironischerweise wird diese Metapher des „brennenden Geistes“ im weiteren Verlauf des Gedichts real, als in einer Nacht seine Wohnung in Flammen aufgeht. Schließlich verliert der Redner buchstäblich seine Stimme - seine Zunge ist durch den Brandnervenschaden gelähmt.

Die Sprache Dehmels ist sehr bildhaft und metaphorisch, was insbesondere durch die wiederkehrende Verwendung des Feuermotivs hervortritt. Worte wie „Glut“, „Brennen“ oder „Vesuv“ schaffen eine leuchtend-vulkanische Atmosphäre, die Dehmels Stil kennzeichnet und dem Text eine intensive Dynamik verleiht. Die Metapher des Feuers veranschaulicht dabei die von Leidenschaft getriebene Rhetorik des Protagonisten sowie die konsequenten, zerstörerischen Auswirkungen seiner Worte.

Formal gesehen, handelt es sich hier um ein Vers-Epos in freien Rhythmen und ohne Reimschema. Die Worte fließen natürlich und ungezwungen, fast wie in Prosa, was dem Gedicht eine gewisse Realität und Direktheit verleiht.

Zusammenfassend lässt sich Dehmels Gedicht „Der Feuergeist“ als ein Symbol für die Kraft der Rede und die möglichen Folgen unbedachter Leidenschaft interpretieren. Es zeigt auf beeindruckende Weise, wie das metaphorische „Feuer“ der Worte tatsächlich entflammen kann, mit katastrophalen Folgen für den unnachgiebigen Redner.

Weitere Informationen

Richard Dehmel ist der Autor des Gedichtes „Der Feuergeist“. Der Autor Richard Dehmel wurde 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg geboren. Im Jahr 1913 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Bei Dehmel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 206 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 25 Versen. Der Dichter Richard Dehmel ist auch der Autor für Gedichte wie „Büßende Liebe“, „Chinesisches Trinklied“ und „Dann“. Zum Autor des Gedichtes „Der Feuergeist“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 522 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Richard Dehmel (Infos zum Autor)

Zum Autor Richard Dehmel sind auf abi-pur.de 522 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.