Der Ex-Nachtwächter von Heinrich Heine
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Mißgelaunt, sagt man, verließ er |
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Stuttgart an dem Neckarstrand, |
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und zu München an der Isar |
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Ward er Schauspiel-Intendant. |
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Das ist eine schöne Gegend |
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Ebenfalls, es schäumet hier, |
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Geist- und Phantasie-erregend, |
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Holder Bock, das beste Bier. |
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Doch der arme Intendante, |
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Heißt es, gehet dort herum |
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Melancholisch wie ein Dante, |
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Wie Lord Byron gloomy, stumm. |
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Ihn ergötzen nicht Comödien, |
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Nicht das schlechteste Gedicht, |
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Selbst die traurigsten Tragödien |
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Lies’t er – doch er lächelt nicht. |
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Manche Schöne möcht’ erheitern |
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Dieses gramumflorte Herz, |
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Doch die Liebesblicke scheitern |
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An dem Panzer, der von Erz. |
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Nannerl mit dem Riegelhäubchen |
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Girrt ihn an so muntern Sinns – |
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Geh’ in’s Kloster, armes Täubchen, |
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Spricht er wie ein Dänenprinz. |
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Seine Freunde sind vergebens |
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Zu erlust’gen ihn bemüht, |
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Singen: Freue dich des Lebens, |
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Weil dir noch dein Lämpchen glüht! |
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Kann dich nichts zum Frohsinn reizen |
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Hier in dieser hübschen Stadt, |
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Die an amüsanten Käuzen |
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Wahrlich keinen Mangel hat? |
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Zwar hat sie in jüngsten Tagen |
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Eingebüßt so manchen Mann, |
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Manchen trefflichen Choragen, |
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Den man schwer entbehren kann. |
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Wär’ der Maßmann nur geblieben! |
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Dieser hätte wohl am End’ |
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Jeden Trübsinn dir vertrieben |
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Durch sein Burzelbaumtalent. |
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Schelling, der ist unersetzlich! |
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Ein Verlust vom höchsten Werth! |
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War als Philosoph ergötzlich |
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Und als Mime hochgeehrt. |
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Daß der Gründer der Walhalla |
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Fortging und zurücke ließ |
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Seine Manuscripte alle, |
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Gleichfalls ein Verlust war dies! |
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Mit Corneljus ging verloren |
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Auch des Meisters Jüngerschaft; |
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Hat das Haar sich abgeschoren, |
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Und im Haar war ihre Kraft. |
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Denn der kluge Meister legte |
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Einen Zauber in das Haar, |
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Drin sich sichtbar oft bewegte |
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Etwas, das lebendig war. |
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Todt ist Görres, die Hyäne. |
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Ob des heiligen Offiz |
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Umsturz quoll ihm einst die Thräne |
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Aus des Auges rothem Schlitz. |
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Dieses Raubtier hat ein Sühnchen |
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Hinterlassen, doch es ist |
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Nur ein giftiges Kaninchen, |
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Welches Nonnenfürzchen frißt. |
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Apropos! Der erzinfame |
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Pfaffe Dollingerius – |
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Das ist ungefähr sein Name – |
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Lebt er noch am Isarfluß? |
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Dieser bleibt mir unvergeßlich! |
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Bei dem reinen Sonnenlicht! |
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Niemals schaut’ ich solch ein häßlich |
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Armesünderangesicht. |
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Wie es heißt, ist er gekommen |
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Auf die Welt gar wundersam, |
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Hat den Afterweg genommen, |
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Zu der Mutter Schreck und Scham. |
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Sah ihn am Charfreitag wallen |
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In dem Zug der Prozession, |
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Von den dunkeln Männern allen |
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Wohl die dunkelste Person. |
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Ja, Monacho Monachorum |
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Ist in unsrer Zeit der Sitz |
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Der Virorum obscurorum, |
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Die verherrlicht Huttens Witz. |
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Wie du zuckst beim Namen Hutten! |
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Ex-Nachtwächter, wache auf! |
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Hier die Pritsche, dort die Kutten, |
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Und wie ehmals schlage drauf! |
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Geißle ihre Rücken blutig, |
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Wie einst tat der Ullerich; |
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Dieser schlug so rittermuthig, |
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Jene heulten fürchterlich. |
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Der Erasmus mußte lachen |
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So gewaltig ob dem Spaß, |
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Daß ihm platzte in dem Rachen |
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Sein Geschwür und er genas. |
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Auf der Ebersburg desgleichen |
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Lachte Sickingen wie toll, |
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Und in allen deutschen Reichen |
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Das Gelächter wiederscholl. |
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Alte lachten wie die Jungen – |
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Eine einz’ge Lache nur |
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War ganz Wittenberg, sie sungen |
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Gaudeamus igitur! |
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Freilich, klopft man faule Kutten, |
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Fängt man Flöh’ im Ueberfluß, |
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Und es mußte sich der Hutten |
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Manchmal kratzen vor Verdruß. |
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Aber alea est jacta! |
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War des Ritters Schlachtgeschrei, |
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Und er knickte und er knackte |
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Pulices und Klerisei. |
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Ex-Nachtwächter, Stundenrufer, |
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Fühlst du nicht dein Herz erglühn? |
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Rege dich am Isarufer, |
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Schüttle ab den kranken Spleen. |
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Deine langen Fortschrittsbeine, |
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Heb’ sie auf zu neuem Lauf – |
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Kutten grobe, Kutten feine, |
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Sind es Kutten, schlage drauf! |
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Jener aber seufzt, und seine |
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Hände ringend er versetzt: |
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Meine langen Fortschrittsbeine |
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Sind Europamüde jetzt. |
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Meine Hühneraugen jücken, |
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Habe deutsche enge Schuh’, |
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Und wo mich die Schuhe drücken, |
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Weiß ich wohl – laß mich in Ruh’! |
Details zum Gedicht „Der Ex-Nachtwächter“
Heinrich Heine
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574
1851
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Der Ex-Nachtwächter“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem renommierten deutschen Dichter, der von 1797 bis 1856 lebte. Es gehört zur Epoche des 19. Jahrhunderts, auch bekannt als das Biedermeier und Vormärz. Auf den ersten Blick wirkt es lebendig und bildhaft, mit einem klaren Fokus auf den Inhalt anstatt auf die Form.
Das Gedicht dreht sich um den „Ex-Nachtwächter“, eine Figur, die offensichtlich unzufrieden und deprimiert ist, trotz seines reichen und vielseitigen Lebens. Er hat Positionen in verschiedenen Städten innegehabt und scheint eine anspruchsvolle und qualifizierte Person zu sein. Dennoch scheint er sowohl beruflich als auch privat sad und unglücklich zu sein. Das lyrische Ich in diesem Gedicht scheint den Negativismus und die Melancholie des Nachtwächters zu beklagen und fordert ihn auf, das Leben mehr zu genießen und seinen Humor und seine Lebensfreude zu finden.
Anders als viele Gedichte konzentriert sich „Der Ex-Nachtwächter“ nicht auf Reime und elegante Sprachstrukturen, sondern auf lebendige Bilder und eine Erzählung, die eine starke Emotion auslöst. Der Text ist in eine Reihe von vierzeiligen Strophen unterteilt, wobei jede Strophe einen bestimmten Aspekt des Nachtwächters und seines Lebens behandelt. Die Sprache des Gedichtes ist direkt und deutlich, ohne viele symbolische oder metaphorische Ausdrücke.
Im Hinblick auf die Form und Sprache des Gedichts ist bemerkenswert, dass es sich um ein sehr langes Gedicht handelt, das aus 32 Strophen besteht. Diese sind meist auf eine quadratische Form aufgebaut (vier Verszeilen) und es wurde ein homogenes Reimschema verwendet. Der Autor spielt mit unterschiedlichen Sprachniveaus und versteht es, den Kontrast zwischen Hochsprache und Vulgärsprache gekonnt zu inszenieren. Trotz gewisser Anlehnungen an eine Ballade oder ein Epos, kann kein festes Metrum verzeichnet werden.
Insgesamt ist „Der Ex-Nachtwächter“ ein faszinierendes Gedicht, gefüllt mit lebendigen Bildern und Emotionen, das den Leser dazu auffordert, die tieferen Bedeutungen und Themen des Lebens und der Zufriedenheit zu betrachten.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Ex-Nachtwächter“ ist Heinrich Heine. Der Autor Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1851 entstanden. In Hamburg ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bei Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 574 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 128 Versen mit insgesamt 32 Strophen. Die Gedichte „Abenddämmerung“, „Ach, die Augen sind es wieder“ und „Ach, ich sehne mich nach Thränen“ sind weitere Werke des Autors Heinrich Heine. Zum Autor des Gedichtes „Der Ex-Nachtwächter“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 535 Gedichte vor.
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Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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