Erinnerung von Detlev von Liliencron

Die großen Feuer warfen ihren Schein
Hell lodernd in ein lustig Biwaktreiben.
Wir Offiziere saßen um den Holzstoß
Und tranken Glühwein, sternenüberscheitelt.
So manches Wort, das in der Sommernacht
Im Flüstern oder laut gesprochen wird,
Verweht der Wind, begräbt das stille Feld.
Die Musketiere sangen: "Stra - a - ßburg.
O Stra - a - ßburg ... " Da fühlt' ich eine Hand,
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Die leise sich auf meine Schulter legte.
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Ich wandte rasch den Kopf, und sah den Lehrer,
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Bei dem ich, freundlich aufgenommen, gestern
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Quartier gehabt; der nun, verabredet,
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Mit seinem Töchterchen gekommen war.
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Ein Mädel, jung gleich einer Apfelblüte,
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Die niemals noch der Morgenwind geschaukelt.
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Der Alte mußte neben uns sich setzen,
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Und während ihm das Glas die Freunde füllten,
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Führt' ich, von allem ihr Erklärung gebend
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Das Mädchen langsam durch die Lagerreihen.
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Sie sprach kein Wort, doch lautlos sprach ihr Mund,
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Ihr lächelnd und ihr staunend großes Auge.
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Wie schön sie war, wenn sie beim Feuer stand,
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Und rote Funken knisternd uns umtanzten.
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Es hob sich die Gestalt vom dunklen Himmel
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Scharf ausgeschnitten aus dem schwarzen Rahmen.
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Und einmal, als Soldaten, ausstaffiert
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Als Storch und Bär, uns ihre Künste zeigten,
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Da lehnte flüchtig sie, beinah erschrocken,
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An meine Brust ihr frommes Kinderantlitz.
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Wir traten zögernd dann den Rückweg an,
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Es stahl der Mond sich eben in die Bäume,
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Und in der Ferne, bei den Doppelposten,
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Fiel dumpf verhallend durch den Wald ein Schuß.
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Wir gingen Hand in Hand,
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Und so, halb stehend, halb im Weitergehn,
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Bog ich mein Haupt hinunter zu dem ihren.
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Ich fühlte, wie die jungen Lippen mir
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Entgegenkamen, und ich seh' noch heut
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Ihr dunkles Auge in die Sterne leuchten ...
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Als längst der Alte mit ihr weggegangen,
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Saß ich im Kreise meiner Kameraden
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Und dachte voller Sehnsucht an das Mädchen,
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Bis mir zuletzt die schweren Lider sanken.
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Mein treuer Bursche trug mich in mein Zelt
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Und deckte sorgsam mir den Mantel über.
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Seitdem bin ich durch manches Land gezogen,
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Doch unvergessen bleibt mir jene Nacht.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Erinnerung“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
329
Entstehungsjahr
1844 - 1909
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Erinnerung“ und wurde von Detlev von Liliencron verfasst, einem bedeutenden Vertreter des deutschsprachigen Naturalismus und Impressionismus. Sein Lebenszeitraum von 1844 bis 1909 ermöglicht eine Einordnung in das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht nostalgisch und kriegerisch, was durch das militärische Setting und den Fokus auf Erinnerungen verstärkt wird. Es handelt von den Erinnerungen des lyrischen Ichs an eine Begegnung mit einem Mädchen während eines militärischen Biwaks. Die Atmosphäre des Gedichts ist durch den Kontrast zwischen dem Kriegsgeschehen und der beinahe romantischen, jugendlichen Begegnung geprägt.

Inhaltlich nimmt das lyrische Ich den Leser mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Dabei wird zunächst die Szenerie eines lebhaften Lagerlebens bei Nacht beschrieben. Dann wird die Begegnung mit dem Lehrer und seiner Tochter geschildert, die als unschuldig und wunderschön beschrieben wird. Es finden auf subtiler Ebene erste Annäherungen statt, die in einem Kuss gipfeln. Nach ihrer Abreise denkt das lyrische Ich sehnsüchtig an das Mädchen zurück, bevor es schließlich einschläft. Das Gedicht endet mit der Bemerkung, dass das lyrische Ich seitdem durch viele Orte gereist ist, sich aber stets an jene Nacht erinnert.

Die Botschaft des Gedichts scheint die Macht der Erinnerung und die Möglichkeit der Flucht aus dem Schrecken des Kriegs in die Schönheit der Liebe und Jugend zu sein.

Die Sprache des Gedichts ist romantisch und teils verklärend, mit anschaulichen Bildern von dem Mädchen („jung gleich einer Apfelblüte“), dem Lagerleben und der Natur. Dabei wird das Vergängliche des Moments betont.

Formal besteht das Gedicht aus 48 Versen ohne regelmäßiges Reimschema. Es handelt sich daher um ein freies Gedicht, das sich durch einen relativ lockeren Versbau auszeichnet. Diese Form betont die Freiheit und Ungebundenheit des lyrischen Ichs und der dargestellten Begegnung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Erinnerung“ von Detlev von Liliencron eine atmosphärische Schilderung einer Lagerfeuerromanze inmitten des Kriegs darstellt. Dabei betont es die Macht von Erinnerungen und die Fähigkeit der Liebe, selbst in dunklen Zeiten einen Lichtblick zu bieten.

Weitere Informationen

Detlev von Liliencron ist der Autor des Gedichtes „Erinnerung“. Geboren wurde Liliencron im Jahr 1844 in Kiel. Zwischen den Jahren 1860 und 1909 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Naturalismus zugeordnet werden. Bei Liliencron handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 329 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit nur einer Strophe. Weitere bekannte Gedichte des Autors Detlev von Liliencron sind „König Regnar Codbrog“, „Die Musik kommt“ und „Er liebte schneidig Schön Thora“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Erinnerung“ weitere 63 Gedichte vor.

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