Der Dichter Firdusi von Heinrich Heine

Goldne Menschen, Silbermenschen!
Spricht ein Lump von einem Thoman,
Ist die Rede nur von Silber,
Ist gemeint ein Silberthoman.
 
Doch im Munde eines Fürsten,
Eines Schaches, ist ein Thoman
Gülden stets; ein Schach empfängt
Und er giebt nur goldne Thoman.
 
Also denken brave Leute,
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Also dachte auch Firdusi,
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Der Verfasser des berühmten
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Und vergötterten Schach Nameh.
 
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Dieses große Heldenlied
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Schrieb er auf Geheiß des Schaches,
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Der für jeden seiner Verse
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Einen Thoman ihm versprochen.
 
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Siebzehnmal die Rose blühte,
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Siebzehnmal ist sie verwelket,
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Und die Nachtigall besang sie
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Und verstummte siebzehnmal –
 
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Unterdessen saß der Dichter
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An dem Webstuhl des Gedankens,
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Tag und Nacht, und webte emsig
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Seines Liedes Riesenteppich –
 
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Riesenteppich, wo der Dichter
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Wunderbar hineingewebt
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Seiner Heimath Fabelchronik,
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Farsistans uralte Kön’ge,
 
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Lieblingshelden seines Volkes,
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Ritterthaten, Aventüren,
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Zauberwesen und Dämonen,
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Keck umrankt von Mährchenblumen –
 
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Alles blühend und lebendig,
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Farbenglänzend, blühend, brennend,
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Und wie himmlisch angestrahlt
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Von dem heil’gen Lichte Irans,
 
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Von dem göttlich reinen Urlicht,
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Dessen letzter Feuertempel,
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Trotz dem Koran und dem Mufti,
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In des Dichters Herzen flammte.
 
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Als vollendet war das Lied,
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Ueberschickte seinem Gönner
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Der Poet das Manuscript,
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Zweimalhunderttausend Verse.
 
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In der Badestube war es,
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In der Badestub’ zu Gasna,
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Wo des Schaches schwarze Boten
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Den Firdusi angetroffen –
 
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Jeder schleppte einen Geldsack,
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Den er zu des Dichters Füßen
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Knieend legte, als den hohen
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Ehrensold für seine Dichtung.
 
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Der Poet riß auf die Säcke
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Hastig, um am lang entbehrten
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Goldesanblick sich zu laben –
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Da gewahrt er mit Bestürzung,
 
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Daß der Inhalt dieser Säcke
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Bleiches Silber, Silberthomans,
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Zweimalhunderttausend etwa –
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Und der Dichter lachte bitter.
 
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Bitter lachend hat er jene
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Summe abgetheilt in drei
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Gleiche Theile, und jedwedem
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Von den beiden schwarzen Boten
 
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Schenkte er als Botenlohn
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Solch ein Drittel und das dritte
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Gab er einem Badeknechte,
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Der sein Bad besorgt, als Trinkgeld.
 
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Seinen Wanderstab ergriff er
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Jetzo und verließ die Hauptstadt;
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Vor dem Thor hat er den Staub
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Abgefegt von seinen Schuhen.
 
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II.
 
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„Hätt’ er menschlich ordinär
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Nicht gehalten, was versprochen,
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Hätt’ er nur sein Wort gebrochen,
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Zürnen wollt’ ich nimmermehr.
 
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Aber unverzeihlich ist,
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Daß er mich getäuscht so schnöde
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Durch den Doppelsinn der Rede
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Und des Schweigens größre List.
 
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Stattlich war er, würdevoll
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Von Gestalt und von Geberden,
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Wen’ge glichen ihm auf Erden,
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War ein König jeder Zoll.
 
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Wie die Sonn’ am Himmelsbogen,
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Feuerblicks, sah er mich an,
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Er, der Wahrheit stolzer Mann –
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Und er hat mich doch belogen.“
 
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III.
 
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Schach Mahomet hat gut gespeist,
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Und gut gelaunet ist sein Geist.
 
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Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl,
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Am Springbrunnen sitzt er. Das plätschert so kühl.
 
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Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen;
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Sein Liebling Ansari ist unter ihnen.
 
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Aus Marmorvasen quillt hervor
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Ein üppig brennender Blumenflor.
 
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Gleich Odalisken anmuthiglich
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Die schlanken Palmen fächern sich.
 
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Es stehen regungslos die Cypressen,
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Wie himmelträumend, wie weltvergessen.
 
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Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang
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Ein sanft geheimnißvoller Gesang.
 
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Der Schach fährt auf, als wie behext –
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Von wem ist dieses Liedes Text?
 
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Ansari, an welchen die Frage gerichtet,
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Gab Antwort: Das hat Firdusi gedichtet.
 
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Firdusi? – rief der Fürst betreten –
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Wo ist er? Wie geht es dem großen Poeten?
 
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Ansari gab Antwort: In Dürftigkeit
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Und Elend lebt er seit langer Zeit
 
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Zu Thus, des Dichters Vaterstadt,
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Wo er ein kleines Gärtchen hat.
 
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Schach Mahomet schwieg, eine gute Weile,
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Dann sprach er: Ansari, mein Auftrag hat Eile –
 
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Geh’ nach meinen Ställen und erwähle
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Dort hundert Maulthiere und funfzig Kameele.
 
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Die sollst du belasten mit allen Schätzen,
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Die eines Menschen Herz ergötzen,
 
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Mit Herrlichkeiten und Raritäten,
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Kostbaren Kleidern und Hausgeräthen
 
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Von Sandelholz, von Elfenbein,
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Mit güldnen und silbernen Schnurrpfeiferei’n,
 
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Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt,
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Lepardenfellen, groß gesprenkelt,
 
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Mit Teppichen, Schals und reichen Brokaten,
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Die fabrizirt in meinen Staaten –
 
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Vergiß nicht, auch hinzuzupacken
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Glänzende Waffen und Schabracken,
 
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Nicht minder Getränke jeder Art
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Und Speisen, die man in Töpfen bewahrt,
 
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Auch Confituren und Mandeltorten,
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Und Pfefferkuchen von allen Sorten.
 
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Füge hinzu ein Dutzend Gäule,
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Arabischer Zucht, geschwind wie Pfeile,
 
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Und schwarze Sclaven, gleichfalls ein Dutzend,
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Leiber von Erz, strapazentrutzend.
 
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Ansari, mit diesen schönen Sachen
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Sollst du dich gleich auf die Reise machen.
 
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Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß
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Dem großen Dichter Firdusi zu Thus.
 
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Ansari erfüllte des Herrschers Befehle,
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Belud die Mäuler und Kameele
 
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Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins
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Gekostet von einer ganzen Provinz.
 
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Nach dreien Tagen verließ er schon
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Die Residenz, und in eigner Person,
 
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Mit einer rothen Führerfahne,
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Ritt er voran der Karawane.
 
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Am achten Tage erreichten sie Thus;
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Die Stadt liegt an des Berges Fuß.
 
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Wohl durch das West-Thor zog herein
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Die Karawane mit Lärmen und Schrein.
 
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Die Trommel scholl, das Kuhhorn klang,
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Und lautaufjubelt Triumphgesang.
 
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La Illa Il Allah! aus voller Kehle
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Jauchzten die Treiber der Kameele.
 
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Doch durch das Ost-Thor am andern End’
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Von Thus, zog in demselben Moment
 
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Zur Stadt hinaus der Leichenzug,
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Der den toten Firdusi zu Grabe trug.

Details zum Gedicht „Der Dichter Firdusi“

Anzahl Strophen
60
Anzahl Verse
162
Anzahl Wörter
788
Entstehungsjahr
1851
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht „Der Dichter Firdusi“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem prominenten deutschen Dichter und Journalisten des 19. Jahrhunderts.

Bei einer ersten Durchsicht des Gedichtes wird eine Art historisches Drama präsentiert, das auf der Lebensgeschichte des persischen Dichters Firdusi basiert. Geschrieben in einem einfachen, auch für den Laien zugänglichen Stil, überzeugt das Gedicht durch seine beeindruckend tiefgründige Aussage.

Im Zentrum des Gedichts steht der Dichter Firdusi und seine lebenslange Hingabe an sein Kunstwerk: das Nationalepos des Iran, das Shahnameh. Mehrere Jahre lang arbeitet er Tag und Nacht an diesem Epos, immer in der Hoffnung auf die versprochene Belohnung von seinem Gönner, dem persischen König. Als die Arbeit endlich abgeschlossen ist und die Belohnung ausbleibt, erfährt Firdusi bittere Enttäuschung und Verzweiflung, die merklich durch das ganze Gedicht hindurch resonieren. Angesichts seines gewaltigen Beitrags zur Literatur und der groben Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist, wird der Dichter als tragischer und doch zu bewundernder Held dargestellt.

Das lyrische Ich in dem Gedicht scheint sowohl der Dichter selbst als auch ein distanzierter Beobachter zu sein. Stilistisch ist das Gedicht von gereimten Versen geprägt und folgt einem klaren Rhythmus. Heine verwendet alltägliche und bildhafte Sprache, um das Innenleben des Dichters einzufangen und gleichzeitig einen Kontext zur realen Geschichte zu bieten. Wir erleben die Hoffnungen, Enttäuschungen und bittere Ironie, die Firdusi durchlebt, einfühlsam und treffend dargestellt.

Die Kombination von konkreten historischen Ereignissen mit der persönlichen Erfahrung des lyrischen Ichs und poetischen Freiheiten ergibt eine packende biographische Erzählung, die gleichermaßen zur Reflektion einlädt. Durch die Schaffung von Sympathie für die Situation von Firdusi erzeugt Heine eine subtile Kritik an den Quälereien, die Künstler oft erleben, und beleuchtet die schmerzliche Diskrepanz zwischen der künstlerischen Schöpfung und ihrer materiellen Kompensation.

Insgesamt ist „Der Dichter Firdusi“ ein Beispiel für Heines Fähigkeit, Geschichte und persönliches Drama zu verbinden und dabei die Wüsche und Leiden des Menschen auf universeller Ebene darzustellen. Es ist gleichzeitig eine zutiefst rührende Hommage an den Künstler und eine mutige Kritik an einer Gesellschaft, die seine Arbeit nicht gebührend anerkennt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Dichter Firdusi“ ist Heinrich Heine. 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1851 zurück. In Hamburg ist der Text erschienen. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Bei dem Schriftsteller Heine handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 788 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 162 Versen mit insgesamt 60 Strophen. Weitere Werke des Dichters Heinrich Heine sind „Abenddämmerung“, „Ach, die Augen sind es wieder“ und „Ach, ich sehne mich nach Thränen“. Zum Autor des Gedichtes „Der Dichter Firdusi“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.

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