Winter von Gustav Falke

Ein morscher Kahn. Vereist. Zwei Raben hüpfen
Auf seinem Rand umher und krächzen heiser
Das Lied des Todes in das weiße Land.
Fern, aus verschneiten Wäldern, Wolfsgebell.
Im Nebel über starrem Meere schwimmt
Die strahlenlose Sonne, gelb und schaurig.
Landher, aus schneeverwehten Hügeln, naht
Barhäuptig, schnellen Schritts, mit glühenden Wangen
Ein Mann, der trägt, vom Wege aufgerafft,
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Vom Felde, einen plumpen Stein in Händen,
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Schmutzig, umkrustet von gefrornem Schnee,
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Und singt ein Lied, ein wirres, wildes Lied:
 
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Wollt ihr mein Herz, mein heißes Herz nicht haben?
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Ich will es euch ja schenken.
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Müßt ihr vor solchen heiligen Liebesgaben
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Euch noch bedenken?
 
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Ist niemand denn an allen weiten Wegen,
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Im Sommerland, am Winterstrand,
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Dem ich's in seine treue Hand kann legen,
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In seine weiche Freundeshand?
 
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Was soll ich denn allein mit meinem Herzen,
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Mit meinem heißen Herzen gehn?
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Weh! es erlischt. Und könnten tausend Herzen
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Sich dran entzünden und in Flammen stehn.
 
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Und wie er singt und schreitet, singt und schreitet,
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Scheucht er vom Boot die schwarzen Vögel auf,
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Ihr Flug umklatscht ihn, ihr Geschrei umkreischt ihn.
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Er achtet's nicht und schreitet grade aus,
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Immer den kalten, plumpen Stein in Händen.
 
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Ein Klingen läuft durchs Eis. Im Flugschnee pfeift
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Der Fost um seinen Fuß. Und lauter wird
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Sein wildes Lied und ringt sich durch den Nebel,
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Der ihn umhüllt, verschlingt. Nur dann und wann
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Schrillt heiser über seinem Lied der Schrei der Raben.
 
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Und einsam liegt der Strand. Die Sonne sinkt
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Erblassend unter in den kalten Dunst,
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Und waldher giert das hungrige Geheul
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Der Winterwölfe.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.8 KB)

Details zum Gedicht „Winter“

Autor
Gustav Falke
Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
38
Anzahl Wörter
254
Entstehungsjahr
1853 - 1916
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht mit dem Titel „Winter“ wurde von Gustav Falke geschrieben, einem deutschen Schriftsteller, der von 1853 bis 1916 lebte. Das Gedicht gehört somit zur Epoche des Naturalismus bzw. der frühen Moderne.

Der erste Eindruck des Gedichts ist dunkel und melancholisch. Es scheint die trostlose, kalte und einsame Atmosphäre des Winters einzufangen, wobei auch bedrohliche Elemente enthalten sind, wie der morsche, vereiste Kahn, die krächzenden Raben, das Wolfsgebell und das strahlenlose, gelb-schaurige Sonnenlicht.

Inhaltlich beschreibt das Gedicht die einsame Wanderung eines Mannes durch eine verschneite Winterlandschaft. Der Mann trägt einen schweren, von Schnee umkrusteten Stein und singt dabei ein wirres, wildes Lied. Es scheint, als würde der Stein symbolisch für das schwere Herz des Mannes stehen, das er in seinen Händen trägt. Er bietet sein Herz an, findet jedoch niemanden, dem er es anvertrauen könnte. Sein Lied und seine einsame Reise scheinen eine Darstellung seiner inneren Sehnsucht und vielleicht auch Verzweiflung zu sein - er möchte sein Herz, bzw. seine Liebe, verschenken, findet jedoch keine Resonanz.

Formal gesehen ist das Gedicht durch ein variierendes Versmaß und eine unregelmäßige Strophenform gekennzeichnet. Es setzt sich aus sieben Strophenzusammen, wobei die Länge der jeweiligen Strophen zwischen vier und zwölf Versen variiert. Im Hinblick auf das Reimschema lässt sich kein klares Muster erkennen, was das Gefühl der Unruhe und Instabilität unterstreicht.

Sprachlich zeichnet sich das Gedicht durch eine Mischung aus konkreten Beschreibungen der Umgebung und metaphorischen Aussagen aus. Vor allem der Kontrast zwischen den düsteren Winterbildern und dem leuchtenden Herzen des Mannes scheint hervorzustechen. Darüber hinaus wird die Stimmung des Gedichts durch die Verwendung von Lautmalerei verstärkt, wie etwa das Krächzen der Raben und das Bellen der Wölfe, die die Bedrohlichkeit und Einsamkeit der Szenerie unterstreichen.

Zusammengefasst zeigt das Gedicht „Winter“ von Gustav Falke eindrücklich die Kälte und Trostlosigkeit einer Winterlandschaft und nutzt sie als Metapher für die innere Zerrissenheit und Sehnsucht des lyrischen Ichs.

Weitere Informationen

Gustav Falke ist der Autor des Gedichtes „Winter“. Im Jahr 1853 wurde Falke in Lübeck geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1869 und 1916. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus zuordnen. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 254 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 38 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Weitere Werke des Dichters Gustav Falke sind „Die Schnitterin“, „Närrische Träume“ und „Zwei“. Zum Autor des Gedichtes „Winter“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 191 Gedichte vor.

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