Der Bodensee von Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg
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Euch grüß’ ich, Uferfächer |
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Des Bodensees, entzückt. |
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Wie einen Freudenbecher |
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Hat euch Natur geschmückt. |
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Gleich Hesperiden blühend, |
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Lacht euer Zauberkreis, |
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Im Schmelz der Farben glühend, |
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Die Stirn’ im Gletschereis. |
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Wohl manchen Sees Gestade, |
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Die Höhn um manche Bucht, |
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An manchem Strom die Pfade |
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Hab’ ich mit Lust besucht. |
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Doch, gleich dem Morgensterne, |
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Der stets erfreut den Blick, |
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Zog mich dein Bild von ferne, |
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O See! zu dir zurück. |
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Hier, wo ein hehrer Tempel, |
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O Konstanz! dir entsteigt, |
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Und weit umher den Stempel |
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Uralter Andacht zeigt; |
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Hier werde froh begonnen |
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Die schöne Sängerfahrt, |
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Wo mit des Anschauns Wonnen |
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Sich die Erinn’rung paart! |
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Von deinen grünen Wogen |
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Fahr’ ich, o Vater Rhein! |
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Gewaltig fortgezogen |
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Den Untersee hinein. |
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Die Schweiz seh’ ich zur Linken |
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Und rechts der Schwaben Land |
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Einander freundlich winken, |
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Füllhörner in der Hand. |
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Indeß noch Silberstreifen |
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Am Fuß der Berge ziehn, |
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Schon Lichter oben schweifen, |
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Die röthlich golden glühn. |
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Aufglänzt die Sonn’ – o Scene! |
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Das Lied erstummt vor dir. |
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Neigt tief euch, ihr Lorraine, *) |
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Und alle Kunst vor ihr! |
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Auf jener Insel dorten, |
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Der edeln Reichenau, |
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Erschloß Pirmin die Pforten |
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Des Lichtes manchem Gau. |
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Bei jenen grauen Thürmen |
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Der Mönche frommer Bund |
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That mitten unter Stürmen |
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Das Wort des Friedens kund. |
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Hoch über den Gewässern |
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Ragt ein gethürmter Kranz |
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Von alten, stolzen Schlössern, |
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Erloschner Zeiten Glanz. |
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Du Hohentwiel, vor allen |
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Sinnbild von Heldenkraft, |
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Pflagst einst in Hedwigs Hallen |
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Gesang und Wissenschaft. |
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Jetzt, Steurer, sanft gelenket! |
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Im Flug nach Meersburg hin, |
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Auf Felsen unumschränket |
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Des Sees Beherrscherin! |
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Fern glänzt das Schloß entgegen; |
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Doch öde steht’s und leer. |
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Kein Dalberg spendet Segen |
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Aus diesen Fenstern mehr. |
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Welch hüglicht Feeneiland |
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Enttaucht den Fluten dort? |
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O Mainau, Rittern weiland |
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Verdienter Ruhe Port! |
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Wer fühlt die Brust da oben |
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Nicht göttlicher durchglüht, |
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Wo er, der Erd’ enthoben, |
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Frei Alles übersieht? |
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O Heil’genberg, noch höher, |
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Dem Sitz des Adlers gleich, |
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Dringt, wie das Haupt der Seher |
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Dein Haupt ins Aetherreich. |
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Wie hehr vor deinen Blicken |
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Entrollt sich Land an Land |
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Bis an der Eishöhn Rücken, |
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An grauer Fernsicht Rand! |
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Gleich einem Circus heben |
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Die Ufer sich – wie sanft! |
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Mit Wiese, Hain und Reben |
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Vom grünbebuschten Ranft. |
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Versteckt in Obstbaumwäldern |
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Entdeck’ ich weit und breit |
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Die Hütten zwischen Feldern |
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Nachlässig hingestreut. |
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Manch Dörfchen ruht entzückend |
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Der grünen Bucht im Schooß; |
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Das Kirchlein, niederblickend, |
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Bewacht sein stilles Loos. |
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Auf heitern Bergesgipfeln |
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Lacht manches schmucke Haus, |
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Und durch die Nacht von Wipfeln |
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Schaut manches froh heraus. |
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Schnell furcht, vom Dampf beflügelt, |
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Mein Schiff den Schimmerpfad |
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Hindurch die Flut, bespiegelt |
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Vom hangenden Gestad. |
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Wie schwebt so hold, beim Reihen |
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Der Freude, von den Höhn |
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Der Vögel und Schallmeien |
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Melodisches Getön! |
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Doch, o der Wandlung! Schweigen |
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Dehnt schaurig jetzt sich aus. |
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Gewitterwolken steigen; |
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Schon hebt sich Windgebraus. |
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O See, wie zieht dein Lächeln |
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In finstre Runzeln sich! |
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So sanft bei Zephyrs Fächeln, |
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Beim Sturm wie fürchterlich! |
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Dich decket nächtlich Dunkel; |
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Doch schäumend wirst du itzt |
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Zum sprühenden Karfunkel, |
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So oft die Wolke blitzt. |
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Des Donners Hall betäubet |
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Der Windsbraut Wuthgeheul. |
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Doch, wild von ihr zerstäubet, |
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Flieht Wolk’ auf Wolk’ in Eil. |
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Und schon verliert das Brausen |
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In ein Geflüster sich; |
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Nur sanft erregt ein Krausen, |
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O Wasserebne, dich. |
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Der Regenbogen stralet, |
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Der, Berge streifend, mild |
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Sich in den Wellen malet, |
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Des Friedens Himmelbild. |
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Vom Dämmrungsschein erhellet, |
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Hebt sich der Zauberkreis, |
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Und am Gestad zerschellet |
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Die Brandung roth und weiß. |
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Wie sanft verklärt die Gegend |
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Des Mondes Zitterglanz! |
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Wie schwebt, in ihm sich regend, |
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Der Formen Wechseltanz! |
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O See, dein Abendglänzen |
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Malt mir das Frühlingsthor |
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An dieses Lebens Gränzen |
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Zum Himmelsänger-Chor. |
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Und singt einst meine Muse |
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In Gottes Himmeln hoch, |
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Sie denkt mit leisem Gruße |
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An dich, froh zitternd, noch. |
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Dort neben der Capelle, |
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Auf rebumkränzten Höhn, |
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Wird Freundschaft eine Stelle |
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Zum Grabe mir ersehn. |
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Dann weht’s dem Freund der Reize, |
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Die liebend ich besang, |
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Aus dem Gewind’ am Kreuze |
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Wie ferner Liederklang. |
Details zum Gedicht „Der Bodensee“
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1834
Romantik,
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Der Bodensee“ wurde von Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg geschrieben, der von 1774 bis 1860 lebte. Damit fällt das Werk thematisch in den Zeitraum der Romantik.
Auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass der Text eine Hymne auf den Bodensee ist und dessen Landschaft und geschichtlichen Hintergrund beschreibt. In dieser Hinsicht ist das lyrische Ich stark bewundernd und beschreibt die Landschaft und Stätten am Bodensee sehr detailverliebt.
Im Einzelnen schildert das lyrische Ich seine Reise über den See und entlang seiner Ufer. Dabei werden nicht nur die natürliche Schönheit des Sees und seiner Umgebung hervorgehoben, sondern auch geschichtsträchtige Orte wie Konstanz, die Insel Reichenau und die Schlösser am Ufer. Das lyrische Ich versetzt sich in die Vergangenheit und erinnert an die Taten und Errungenschaften der Menschen, die einst in diesen Plätzen lebten. Gleichzeitig schildert es, wie es den See und seine Umgebung in unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten erlebt und welchen Einfluss dies auf seine Stimmung und Wahrnehmung hat.
Formal betrachtet handelt es sich um ein ausgedehntes Gedicht mit 19 Strophen zu je acht Versen. Auf einen festen Reimschema scheint vorliegend verzichtet zu sein, stattdessen wird eine eher freie Form gewählt, die wohl der Komplexität des Themas und der Vielfalt an Aspekten, die der Autor berücksichtigen möchte, gerecht wird.
Die Sprache des Gedichts ist sehr bildhaft und detailreich und weist eine reiche Palette an Vergleichen und Metaphern auf. Dabei bedient sich der Dichter einer eher gehobenen und teilweise altertümlichen Sprache, die wohl der Würde des Themas und seiner Bewunderung für den Bodensee Ausdruck verleihen soll. Gleichzeitig spiegelt diese Sprachwahl wohl auch den Stand und die Bildung des Dichters und seines Publikums wider.
Zusammengefasst geht es in diesem Gedicht um die Bewunderung und Verklärung des Bodensees und seiner Umgebung. Der Autor nutzt den Bodensee als Metapher und Bühne, um über größere Themen wie Geschichte, Natur und den Platz des Menschen in der Welt nachzudenken. Besonders hervorzuheben ist auch die Rolle des lyrischen Ichs, das sich in der Rolle des Reisenden und Beobachters befindet und seine Eindrücke und Gedanken mit dem Leser teilt. Damit hat das Gedicht auch eine starke persönliche und subjektive Komponente.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der Bodensee“ ist Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg. Wessenberg wurde im Jahr 1774 in Dresden geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1834 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart und Tübingen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Romantik, Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 152 Versen mit insgesamt 19 Strophen und umfasst dabei 635 Worte. Die Gedichte „Die Orgel“, „Die Ostereier“ und „Die grosse Orgel zu Freiburg in der Schweiz“ sind weitere Werke des Autors Ignaz Heinrich Karl von Wessenberg. Zum Autor des Gedichtes „Der Bodensee“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.
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