Tempora mutantur von Rudolf Baumbach

Stand ein Rosenstrauch im Mai
Blühend an sonniger Halde,
Flog ein lustiger Fink herbei
Aus dem schattigen Walde.
 
Und der lustige Finke sprach:
?Laß, o Rose, mich wohnen
Unter deinem Blätterdach,
Will's nach Kräften dir lohnen.
 
Will dich preisen mit süßem Sang,
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Selig durch deine Minne
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Will dir dienen mein Leben lang,
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Schöne Frau Königinne! -"
 
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Sprach die Rose: ?Ein Finkenhahn
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Soll mich nicht betören;
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Wenn du wärest der Goldfasan,
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Möcht' ich vielleicht doch erhören.
 
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Aber zwischen uns beiden liegt
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Eine gewaltige Schranke,
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Und kein Finke darüber fliegt;
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Nein - mein Herr, - ich danke."
 
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Kehrt der Finke zurück zum Wald,
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Dachte nicht weiter an Minne,
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Pfiff und sang, da kam ihm bald
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Röslein aus dem Sinne.
 
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Als der Winter kam ins Land,
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Fand er auf jenem Flecke,
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Wo im Frühling die Rose stand,
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Eine dornige Hecke;
 
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Hingen nur wenige Blättlein dran,
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Welk und halb erfroren
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Wartend auf den Goldfasan,
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Hat sie die Blüte verloren.
 
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Als die Hecke den Finken erkannt,
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Rief sie mit einer Verbeugung:
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?Zog dich endlich aus fernem Land
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Heim deine erste Neigung?
 
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Komm, mein Trauter, uns trennt fortan
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Keine hemmende Schranke -"
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Sah sie der Fink bedenklich an,
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Sprach: ?Mein Fräulein - ich danke!"
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Tempora mutantur“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
198
Entstehungsjahr
1840 - 1905
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

„Tempora mutantur“ ist ein Gedicht von Rudolf Baumbach, einem Vertreter des deutschen Spätrealismus. Es dürfte somit zwischen 1870 und 1905 verfasst worden sein.

Beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht in einer allegorischen Erzählweise verfasst ist und eine Geschichte von unerwiderter Liebe und vergeblichen Hoffnungen zwischen einem Fink und einer Rose erzählt.

Im Inhalt des Gedichts trifft ein Fink auf einen blühenden Rosenstrauch und bittet darum, unter dem Schutz seiner Blätter wohnen zu dürfen, im Austausch verspricht er sein Lied und seine Dienste. Die Rose lehnt jedoch ab und begründet dies damit, dass zwischen ihnen eine unüberwindbare Barriere besteht. Sie deutet an, dass sie eventuell einen Goldfasan hören könnte, nicht aber einen Finken. Der Fink fliegt daraufhin zurück in den Wald und vergisst die Rose. Als der Winter eintritt, findet der Fink die einst so stolze Rose als welke Hecke wieder. Trotz ihrer früheren Zurückweisung, bittet sie den Fink nun um Gesellschaft. Der Fink lehnt jedoch seinerseits ab.

Das lyrische Ich könnte hier durch den Fink repräsentiert werden. Seine Botschaft könnte darin bestehen, dass sich die Zeiten ändern („Tempora mutantur“), und mit ihnen die Umstände und Beziehungen. Angebote, die einst abgelehnt wurden, könnten in anderen Zeiten begehrenswert sein und umgekehrt.

Form und Sprache des Gedichts sind relativ einfach gehalten. Es besteht aus zehn vierzeiligen Strophen in einem gleichbleibenden Reimschema (Kreuzreim). Die Verse sind größtenteils jambisch und verfügen über eine klare Kadenzenstruktur. Die Sprache ist bildhaft und metaphorisch, die Rose und der Fink stehen stellvertretend für menschliche Charaktere oder vielleicht sogar gesellschaftliche Gruppen. Die Ausdrücke und Formulierungen sind getragen von einer gehobenen Umgangssprache, die eine formelle Distanz bewahrt und zugleich die emotionale Tragik der Geschichte unterstreicht.

Weitere Informationen

Rudolf Baumbach ist der Autor des Gedichtes „Tempora mutantur“. Baumbach wurde im Jahr 1840 in Kranichfeld (Thüringen) geboren. In der Zeit von 1856 bis 1905 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus, Naturalismus oder Moderne kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das 198 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Weitere Werke des Dichters Rudolf Baumbach sind „Die Wasserrose“, „Heimliches Leid“ und „Mein Herz trägt heimliches Leid“. Zum Autor des Gedichtes „Tempora mutantur“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 14 Gedichte vor.

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