Der Arzt von Johann Diederich Gries

Von der Krankheit Glut verzehret
Lag des Königs einz’ger Sohn.
Alles, was die Kunst gewähret,
Ward zur Rettung seines Lebens
Angewandt, doch nur vergebens;
Allem sprach das Uebel Hohn.
Und der Vater saß am Bette,
Sah des Sohnes Leben fliehn:
O wer ist, der mir ihn rette?
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Alle Schätze, alle Gaben,
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Was er fordert soll er haben,
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Nur erhalten soll er ihn!
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Aber auf dem stillen Zimmer
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Härmt die junge Mutter sich
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Einst im vollen Jugendschimmer
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Ließ um sie der Jüngling werben,
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Und sie sieht den Liebling sterben,
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Dessen Bild ihr nie erblich.
 
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Und die letzten Kräfte schwanden,
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Und des Todes Stunde naht;
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Da erscheint aus fernen Landen
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Noch ein Mann in weißen Haaren,
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Der des Fürsten Noth erfahren,
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Reich an Kunst und weisem Rath.
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Alles wird von ihm erwogen,
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Und es sieht der kluge Mann,
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Wenn nicht alle Zeichen trogen,
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Steckt des Uebels Grund im Herzen,
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Liebe machte diese Schmerzen,
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Sie nur ist’s, die helfen kann.
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Tiefer sucht er nun zu spüren;
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Unter schlau erdachtem Grund
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Läßt er zu dem Prinzen führen,
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Reich an Reizen, alle Schönen,
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Die den Hof des Fürsten krönen;
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Doch es giebt sich nichts ihm kund.
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Nur wenn in des Sohnes Zimmer
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Sich die Königinn begiebt,
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Sieht er einen hellen Schimmer
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In des Jünglings Augen glühen.
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Seine bleichen Wangen blühen:
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Wär’ es diese, die er liebt?
 
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Heimlich lauscht er oft verborgen,
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Ob er auch die Wahrheit fand.
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Ach! wohl trafen’s seine Sorgen;
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An des Jünglings Herzen nagen
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Hoffnungsloser Liebe Plagen,
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Die er nimmer noch gestand.
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Doch wie einst in heissen Thränen
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Sich ihr Schmerz Erleichtrung schafft,
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Da ergreifet ihn ein Sehnen,
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Seine Liebe zu ergießen,
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Und er sinkt zu ihren Füßen,
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Sammelnd seine letzte Kraft:
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O vergieb, daß ich es wage,
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Zu entweihn der Pflicht Gebot!
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Doch am Ziele meiner Tage
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Sprengt die Liebe diese Ketten;
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Nicht mein Leben kannst du retten,
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So versüße meinen Tod!
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Ha! warst du nicht mir versprochen?
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Wessen Arm zerriß das Band?
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Deine Fesseln sind gebrochen;
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Liebe hat dich mir geweihet,
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Sey denn unser Bund erneuet,
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Dieser Ring sey Hymens Pfand!
 
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Nicht mehr Mutter; nein, Geliebte!
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Jetzt hat uns ein Gott getraut.
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Was das Leben mir verübte,
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Soll des Todes Hand ersetzen;
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Liebe soll mich sterbend letzen,
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Sterbend sey du meine Braut!
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Sieh! schon öffnen sich die Thore,
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Und der dunkle Hades winkt
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Hörst du nicht in leisem Chore
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Unsern Brautgesang erschallen?
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Auf! ich will voran dir wallen,
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Folge bald – er spricht’s und sinkt.
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Doch von Liebe hingerissen
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Stürzet sie dem Jüngling nach;
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Und als sie mit heissen Küssen
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Ihn von Hades finstern Stufen
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Sucht zurück an’s Licht zu rufen,
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Oeffnet schnell sich das Gemach.
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Und der Fürst, vom Arzt begleitet,
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Sieht die Gattinn, sieht den Sohn.
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Tief in seinem Busen streitet
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Ein Gewühl von wilder Regung;
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Doch die edlere Bewegung
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Trägt des Sieges Ruhm davon.
 
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Und er wirft sich bei ihm nieder:
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Höre deines Vaters Schwur!
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Kehr’, o kehr’ in’s Leben wieder,
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Und erhält nur dies dein Leben,
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Sey die Gattinn dir gegeben;
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Aber leb’, o lebe nur!
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Und schon an des Orkus Schwellen,
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Kehrt des Jünglings Geist zurück
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Zu des Lebens heitern Quellen;
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Er begrüßt das Licht der Sonne,
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Nun nicht mehr der Schmerz, die Wonne
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Schließt den kaum erwachten Blick.
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Doch bald strömt ein neues Leben
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In die schnell geneß’ne Brust,
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Und er fühlt mit süßem Leben
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Sein erstarrtes Herz erwarmen
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In der Vielgeliebten Armen,
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Fühlt des jungen Lebens Lust.
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Und zu seines Vaters Füßen
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Sinkt er mit gerührtem Blick,
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Will des Danks Gefühl ergießen:
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Doch der König spricht: Zu preisen
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Hast du einzig diesen Weisen;
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Leben dankst du ihm und Glück.
 
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„Herr, du hast es nicht zu danken
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Mir und meiner Wissenschaft;
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Unsre Kunst hat enge Schranken;
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Amor ist’s, der dich verwundet,
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Er, durch den du jetzt gesundet:
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Preise seine Wunderkraft.“

Details zum Gedicht „Der Arzt“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
120
Anzahl Wörter
633
Entstehungsjahr
1799
Epoche
Klassik,
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Arzt“ wurde von Johann Diederich Gries verfasst, der im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert lebte. Es handelt von einem Königssohn, der schwer krank ist und vor dem Tod steht. Alle Versuche der Medizin, ihn zu heilen, scheitern.

Das gedicht gibt ein sehr emotionales und dramatisches Bild wieder. Der leidende Sohn, der alte König und die junge Mutter, die beide um ihn trauern, rufen beim Leser Mitgefühl hervor. Es wird durch eine Handlung erzählt, die nicht nur den physischen Zustand des Prinzen, sondern auch seine seelischen Qualen und die seiner Familie zum Ausdruck bringt.

Trotz aller Anstrengungen, den Prinzen zu retten, bleibt die Krankheit unbeeindruckt. Der König ist verzweifelt und bereit, alles zu geben, um seinen Sohn zu retten. Die Mutter ist verzweifelt und trauert um ihr sterbendes Kind. Schließlich kommt ein Arzt aus der Ferne, der vermutet, dass die Liebe die Ursache und möglicherweise auch die Lösung für das Leiden des Prinzen ist. Trotz aller Bemühungen offenbart der Prinz seine Gefühle nicht, bis seine Mutter seine Kammer betritt. Es wird angenommen, dass er in sie verliebt ist.

In Form und Sprache ist das Gedicht typisch für seine Epoche, zu der die Romantik zählt, obwohl Gries selbst eher als Repräsentant der Klassik bezeichnet wird. Es ist in gereimten Versen und in mehreren Strophen geschrieben. Der Sprachgebrauch ist gehoben und stilistisch ausgefeilt, mit einem romantischen bzw. klassischen Duktus und einer klar strukturierten, fast erzählerischen Form. Pathos, Gefühl und Dramatik dominieren.

Das lyrische Ich berichtet als Beobachter in dritter Person über die Ereignisse und gibt dem Leser gleichzeitig Einblicke in die inneren Vorgänge und Gefühle der Charaktere. Es wird die Macht der Liebe betont, die nicht nur eine Krankheit verursachen, sondern auch heilen kann. Auch der Zwiespalt zwischen Pflicht und Gefühl wird thematisiert.

Am Ende wird der Dank des Vaters und des geretteten Sohnes nicht dem Arzt, sondern der 'Wunderkraft' der Liebe zugesprochen. Das Gedicht endet also mit einer klaren Aussage: Liebe ist mächtiger als alle anderen Kräfte, sogar als die Wissenschaft. Diese Botschaft macht das Gedicht zu einer dynamischen und emotionalen Erzählung, die den Leser bis zum Ende hin fesselt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Der Arzt“ ist Johann Diederich Gries. 1775 wurde Gries in Hamburg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1799 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Tübingen. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik oder Romantik zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 120 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 633 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Diederich Gries sind „Das Plätzchen im Walde“, „Der Bach“ und „Die Gelegenheit“. Zum Autor des Gedichtes „Der Arzt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de keine weiteren Gedichte vor.

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