Mondaufgang von Rudolf Gottschall

Leises Gewölk, duftig gehaucht,
Dort die Scheibe des Mondes taucht
Aus der sonnentrunkenen Pracht,
Eine verloschene Hieroglyphe
Aus dem Rätselschatze der Nacht.
 
Jetzt noch zu hell leuchtet der Tag,
Überschüttet den grünen Hag,
Das Gebirg mit den Feuerspuren,
Küßt die Erde, die Sonnenbraut
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Allzu geschäftig der Lärm der Fluren,
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Und die Lerchen plaudern zu laut.
 
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Erst wenn der West geolden zerfloß
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Und im Köcher sein Lichtgeschoß
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Der entfliehende Tag versteckte,
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Wallt aus duftigen Wolkenflor
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Voll und strahlend die neuerweckte
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Traumesfürstin der Nacht hervor.
 
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Sonnige Welt, lärmender Tag,
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Der so schwül auf der Seele lag!
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Es verblaßten in deinem Lichte
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Sterne des Herzens zum Nebelflor;
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Aber die Fülle der innern Gesichte
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Schwebt mit dem vollen Mond empor.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Mondaufgang“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
23
Anzahl Wörter
116
Entstehungsjahr
1823 - 1909
Epoche
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Rudolf Gottschall, der zwischen 1823 und 1909 in Deutschland lebte. Das Gedicht „Mondaufgang“ ist daher zeitlich der Epoche des Realismus (1848-1890) zuzuordnen.

Auf den ersten Blick handelt das Gedicht vom nächtlichen Aufstieg des Mondes und dem damit einhergehenden Übergang vom Tag zur Nacht. Es ist geprägt von Natur- und Stimmungsbildern, die eine nahezu mystische, träumerische Atmosphäre erzeugen.

Inhaltlich beschreibt Gottschall zu Beginn das Erscheinen des Mondes in der Dämmerung („Leises Gewölk, duftig gehaucht“). Der Mond wird dabei mystifiziert und symbolisch als „verloschene Hieroglyphe“ und Teil eines nächtlichen Rätsels beschrieben. In der zweiten Strophe wird dagegen die noch anhaltende Helligkeit und Aktivität des Tages thematisiert („Jetzt noch zu hell leuchtet der Tag“). Der Tag wird als gesellig und lebhaft beschrieben, während die Lerchen als Symbol des lebendigen Tags zu laut „plaudern“. In der dritten Strophe vollzieht sich schließlich der Übergang zur Nacht, während der der Mond wieder ins Zentrum rückt („Erst wenn der West geolden zerfloß“). Die letzte Strophe greift schließlich die Stimmung der ersten beiden Strophen auf und erzeugt einen Kontrast zwischen dem „lärmenden Tag“ und der erhabenen, ruhigen Nacht.

Das lyrische Ich scheint damit einerseits die Ruhe und Erhabenheit der Nacht und des Mondes gegenüber dem tagsüber herrschenden Trubel zu schätzen. Andererseits findet aber auch eine Innenschau statt, in der das lyrische Ich seine Gedanken und Gefühle reflektiert. Diese werden als „Sterne des Herzens“ bezeichnet, deren volles Leuchten erst im entfernteren Licht des Mondes - und somit in der Nacht - möglich ist. Das Gedicht kann daher auch als Sehnsuchtsausdruck für Ruhe, Kontemplation und Introvertiertheit gelesen werden.

Das Gedicht besteht aus vier Strophen, die jeweils aus fünf bis sechs Versen bestehen. Die Sprache Gottschalls ist reich an bildhaften Vergleichen und prägnanter Symbolik. Dabei verwendet er sowohl alltägliche als auch erhaben-poetische Begrifflichkeiten, die den Kontrast zwischen Tag und Nacht unterstreichen. Im Ganzen ergibt sich dadurch ein lyrischer Text, der sich sowohl der Beschreibung natürlicher Phänomene als auch der Darstellung innerer Befindlichkeiten bedient.

Weitere Informationen

Rudolf Gottschall ist der Autor des Gedichtes „Mondaufgang“. Geboren wurde Gottschall im Jahr 1823 in Breslau. Das Gedicht ist in der Zeit von 1839 bis 1909 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zu. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 116 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 23 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Gottschall sind „Ein Traum ist alles Erdenleben“ und „Marie“. Zum Autor des Gedichtes „Mondaufgang“ haben wir auf abi-pur.de weitere 10 Gedichte veröffentlicht.

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