Der 20. Februar von Rudolf Lavant

In diesem schönen neunz’ger Jahr darf man die Prophezeiung wagen:
Der zwanzigste des Februar wird einer von den „krit’schen Tagen.“
Gewiß ist er verhängnißvoll: es wird das Volk zur Urne wallen
Und auf fünf volle Jahre soll zum ersten Mal der Würfel fallen.
Fünf Jahre – eine lange Zeit! Man kann in ihr durch Aderlässe
Der jugendlichsten Rüstigkeit ankränkeln des Gedankens Blässe;
Man kann in ihr „beherzt und fest,“ erhaben über „feige Schwächen,“
Der Kräfte letzten armen Rest in einem müden Volke brechen.
Zu Schaudern werden Trug und Witz vor einem klaren, kühlen Volke;
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Es holt herunter sich den Blitz für einen Tag aus dunkler Wolke
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Und hält mit selbstbewußtem Blick für Stunden in den eignen Händen
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Der Zukunft Loos und sein Geschick; weh, wenn sie wirr und feig es fänden!
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Weh, wenn ein falsches Traumgesicht sich spukhaft aus dem Abgrund höbe
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Und einen Schleier schwer und dicht ums scharfe klare Auge wöbe!
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Weh, wenn zu weiterm Rückwärtsgang man aufgeklärte Massen zwänge,
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Weh, wenn der letzte Bauernfang auch bei der nächsten Wahl gelänge!
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Die Jahre seit der letzten Schlacht, die manche Hoffnung uns begraben,
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Wir wissen, was sie uns gebracht und – was sie uns gekostet haben.
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Drei Jahre waren’s diesmal nur, jedoch sie haben schwer gewogen
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Und – Zeuge deß’ die Leidensspur! – am zarten Mark des Volks gesogen;
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Und ränge unsern Widerstand auch diesmal man mit Arglist nieder –
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Wie fänd’ ich dich, du deutsches Land, nach den fünf Schicksalsjahren wieder?
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Ich muß, durchfröstelt, meinen Blick von diesem Zukunftsbilde lenken –
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Es greift ans Herz, in ein Geschick, wie dieses, stumm sich zu versenken.
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Es ist kein Volk dem deutschen gleich im stummen, im ergebnen Dulden;
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Es gab so oft im alten Reich den letzten Mann, den letzten Gulden,
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Es gab den letzten Bissen Brot, den letzten Tropfen seines Blutes
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Und murrte nicht in seiner Noth ob frevelhaften Uebermuthes –
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Soll wieder es – durch eigne Schuld, die es nur selbst vermag zu heben, –
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Der Welt das Beispiel der Geduld und stummgetragner Leiden geben?
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Nein, wer sein Volk von Herzen liebt, bewahrt es gern vor solchem Ruhme;
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In seine tapfern Hände giebt er nicht die blasse, blaue Blume,
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Die Blume der Entsagung nicht, der müden, bleichen, hoffnungslosen –
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Er giebt – und wenn es zehnmal sticht! – ihm frische, wilde, rothe Rosen.
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Und Hoffnung ist, daß wir vom Sitz so Manchen diesmal sehn gerissen;
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Es wird das Volk mit gutem Witz das Recht der Wahl zu brauchen wissen.
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Es fragt sich klar nach seiner Qual und seinem rechtverstandnen Wohle –
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Ihr täuscht es nicht zum zweitenmal durch eine falsche Wahlparole!
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In diesem schönen neunz’ger Jahr darf man die Prophezeiung wagen:
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Der zwanzigste des Februar wird einer von den „krit’schen Tagen.“
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Der 20. Februar“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
445
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der 20. Februar“ wurde von Rudolf Lavant, einem deutschen Autor, der zwischen 1844 und 1915 lebte, verfasst. Dies deutet zeitlich auf die Periode des Bismarckreiches und die wachsende Arbeiterbewegung im späten 19. Jahrhundert hin.

Der erste Eindruck des Gedichts ist, dass es um einen historisch bedeutsamen Tag und zukünftige Ereignisse geht. Auf den ersten Blick scheint Lavant die politische Situation der damaligen Zeit anzusprechen und seine Vermutungen und Ängste über bevorstehende Ereignisse auszudrücken.

Im Gedicht wird das „lyrische Ich“ zum Propheten und spricht über den 20. Februar im Jahr 1890. Dieser Tag wird als entscheidend bezeichnet, da das Volk zur Wahlurne gehen wird, mit der Wahl die Richtung für die nächsten fünf Jahre bestimmt wird. Das lyrische Ich äußert seine Befürchtungen, dass falsche Versprechen und Täuschungen das Volk in eine ungünstige Zukunft führen könnten. Es drückt aber auch Hoffnung aus, dass das Volk weise wählen wird und sich durch falsche Wahlversprechen nicht täuschen lassen wird.

Das lyrische Ich scheint eine Kritik an der damaligen politischen Situation zu üben und gleichzeitig vor den Konsequenzen falscher politischer Entscheidungen zu warnen. Es greift zudem den Gedanken einer passiven und leidenden Rolle der Deutschen auf und setzt dem das Bild einer aktiven und hoffnungsvollen Rolle entgegen, die das Volk einnehmen sollte.

In Bezug auf Form und Sprache ist „Der 20. Februar“ ein langes Gedicht mit 40 Versen, wobei Lavant die traditionelle Form des gereimten Verses nutzt. Die Sprache des Gedichts ist klar und unverblümt, jedoch durch den Einsatz von Metaphern wie die der „blauen Blume“ der Entsagung oder die „roten Rosen“ der Hoffnung auch bildreich. Damit erzeugt Lavant eine intensive Stimmung zwischen Befürchtung und Hoffnung, die den Leser zum Nachdenken anregt. Es wird deutlich, dass ihm das Schicksal seines Volkes und die politischen Entwicklungen seiner Zeit wichtig waren.

Weitere Informationen

Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „Der 20. Februar“. Der Autor Rudolf Lavant wurde 1844 in Leipzig geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1893 zurück. Erschienen ist der Text in Stuttgart. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Naturalismus oder Moderne zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 445 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 40 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Lavant sind „An die alte Raketenkiste“, „An unsere Feinde“ und „An unsere Gegner“. Zum Autor des Gedichtes „Der 20. Februar“ haben wir auf abi-pur.de weitere 96 Gedichte veröffentlicht.

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