Schütz, Stefan - Widerspruch in der deutschen Literatur der Nachkriegszeit (Erörterung eines Zitates)

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Literarische Erörterung - Zitat von Stefan Schütz

Literarische Erörterung zu einem Zitat von Stefan Schütz
„Denn Kunst ist immer Widerspruch zu dem, was ist.“ (Stefan Schütz)

Wenn es um Kunst geht, hat jeder eine Meinung. Ob er sich diese selbst gebildet hat, sei dahin gestellt. Erst kürzlich diskutierte ich mit jemandem über die Aussage, die hinter den Werken des zwar erfolgreichen, aber mindestens ebenso umstrittenen, Künstlers Neo Rauch steht. Er meinte, dessen Bilder seien in der heutigen kommerzialisierten Zeit nur geschaffen worden um damit Geld zu verdienen. Der künstlerische Anspruch sei fragwürdig, und einen tieferen Sinn hätten die Gemälde sowieso nicht. Ohne mit mehr Vorwissen belastet zu sein als er, argumentierte ich, die Bilder hätten sehr wohl eine Aussage, denn ansonsten könnte ich mir die breite Nachfrage nach den Stücken kaum erklären. Außerdem wird eine derart hochgeistige Einrichtung, wie die Pinakothek in München eine (in meinen Augen) darstellt, sonst keine Ausstellung mit Werken Rauchs gestalten. Ich gebe zu, die Beweisführung bestand beiderseits nicht auf einem durchschlagendem Niveau, bezogen wir uns doch beide lediglich auf empirisch gewonnene Strukturen, die wir auf den konkreten Fall Neo Rauch übertrugen. Allerdings zweigt diese Konversation exemplarisch deutlich die Zwiespältigkeit, die Kunst hervorzurufen vermag.

Ursprünglich stammt der Begriff KUNST nämlich von Kenntnis, was so viel bedeutet wie Weisheit oder Wissen. Doch wurde der Begriff ständig erweitert, beschrieb bald ausschließlich eine gestaltende menschliche Tätigkeit, und ist nach heutiger Auffassung sehr weit gefasst und umfasst ebenso den Bereich der Darstellung. So gibt es ungezählte Formen der Darstellung von Kunst und das geht soweit, dass schon Sport dazugezählt wird. So behauptet ein hier nicht namentlich genannter Blogger in einem Internetdialog, er sehe sein Hobby, das Skateboard fahren, als Kunst an. Unter welcher Fragestellung er darauf kommt, sei dahin gestellt.

Oft wird der Ausdruck „Kunst“ nur verwendet, um das vermeintlich Gegensätzliche zur Natur“ zu bezeichnen. In diesem Zusammenhang erscheint die Wahl des Wortes „Künstlichkeit“ wohl angebrachter, denn was künstlich ist, muss nicht kunstvoll sein. Doch, abgesehen von der aktuellen Ausdehnung dieses Kunstbegriffes, ist fraglich, wie viel Aussage hinter einem Kunstwerk stehen muss, oder darf, damit es zu Kunst wird. Dazu meint Stefan Schütz, ein ostdeutscher Schriftsteller, alles was Kunst sei, stehe im Widerspruch zu „dem, was ist.“ Damit meint er, dass er nur als wahre Kunst ansehe, was sich gegen herrschende Zustände und Ereignisse richte. Die Kunstfertigkeit besteht für Schütz also darin, mittels künstlerischer Mittel Kritik an Obrigkeit oder gesellschaftlicher Mehrheit zu richten, wenn man den Ausspruch pauschalisiert.

Das „Denn“, womit der Satz beginnt, legt nahe, dass sich Schütz konkret auf ein Szenario bezieht. Denkbar ist Beispielsweise, dass er meint „Denn Kunst *in der DDR+ ist immer…“, denn damals bestand tatsächlich die Kunst darin, seine Meinung, sofern sie eine oppositionelle war, in Werke der Kunst, seien es Romane, Theaterstücke oder die dafür typischen Denkschriften, zu „verpacken“, quasi „hinten rum“ zu äußern und zu verbreiten. In diesem Zusammenhang ist auf die berüchtigte „Schere im Kopf“ zu erwähnen. Sie bezeichnet das Phänomen, dass Autoren in einem Staat, in dem Meinungsunfreiheit waltet, nur dasjenige schreiben, was der Obrigkeit nicht kritisch erscheint, um kein Publikationsverbot oder ähnliche Sanktionen zu riskieren. Damit kommt der Künstler der Zensur einen ganzen Schritt entgegen, beispielsweise habe ich anlässlich der Wechselausstellung "Spaß beiseite. Humor und Politik in Deutschland" im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig erfahren, dass zwischen den Texteschreibern des politischen Kabaretts während der DDR-Zeit und der zuständigen Zensurbehörde eine enge Zusammenarbeit bestand. So wurde nicht einfach eine Passage gestrichen, sondern darüber diskutiert, wie eine bessere Formulierung oder Pointe aussehen könnte.

Wenn man bedenkt, welche Kunstformen existieren; das Spektrum reicht von „Cyber-Art“ über „Street-Art“ zu klassischen gestaltenden Ausdrucksmöglichkeiten, wie Literatur, Musik und Malerei, so ist es sinnvoll dem Zitat ein Bezug zu solchen aufzurichten. Die Übergänge sind dabei kaum eindeutig differenzierbar. So resultiert aus dem Umstand, dass Schütz auch während der Zeit des „real existierenden Sozialismus“, geschrieben hat, die Spezifizierung in diesem Fall auf die Literatur. Besonders auffällig an seiner Biografie sind die Bemerkungen, die hinter seinen Romanen aus den Siebzigern in Klammern notiert wurden, nämlich, dass diese unveröffentlicht blieben. Beispielsweise zu nennen wäre das schon im Titel kritisch anmutende Werk „Friedensstörer“. Die Tatsache, dass dieses Stück der Veröffentlichung NICHT zugeführt wurde, ebenso wie „Der Macher“, lässt den Schluß zu, dass darin Verfasser die Publikation bzw. sie wurde ihm verboten. Widerspruch in Bezug auf den behandelten Zeitabschnitt deutscher Literaturgeschichte zu konkretisieren, auch differenziert auf beide Staaten, fällt nicht schwer. So kann man dazu zählen, wenn ein ostdeutscher Autor in einen offenen Konflikt mit der Obrigkeit tritt. Wenn zum Beispiel ein Journalist der Parole „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen.“ offen entgegengetreten wäre, indem er Missstände in der Sowjetunion benannt hätte. Oder, wie ich es von Schützes Werk „Seneca“ vermute, indirekte Kritik zu üben, bzw. den Versuch zu unternehmen, der Gesellschaft mit Hilfe einer Geschichte die Augen zu öffnen. Denn das antike Vorbild, Seneca der Jüngere war ein Politiker während der römischen Kaiserzeit, welcher eine Schrift an den Kaiser Nero verfasst hat, worin die Anwendung der Milde (de clementia)oder vielmehr milder Verfahrensweisen und Strategien als politisch wirksames Mittel besonders Betonung findet. Dieses Engagement führte dazu, dass ihm nur das Exil blieb, und endete in der Selbsttötung auf Befehl.

Auch dies blieb unveröffentlicht. Davon ausgehend, dass Schütz mit „Seneca“ politische Uneinsichtigkeit des Regimes anprangerte, lässt sich hier gut ein Zitat des für seine Zeit revolutionären Literaten Oscar Wilde anbringen, der sagte: „Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol.“ (aus Vorwort von „Das Bildnis des Dorian Gray“). Auf eben diese Oberfläche wurde von zahlreichen Schriftstellern, nicht von Schütz ausschließlich, Obrigkeitskritik projiziert. Da wäre auf ostdeutscher Seite stellvertretend für viele andere Künstler und Intellektuelle Jürgen Fuchs mit „Pappkameraden“ und Christa Wolf („Der geteilte Himmel“) zu nennen. Da wird zum Teil recht offensichtlich Gegenwartskritik angebracht. Der Künstler spürten auch Reaktionen auf ihre Schreibarbeit, so wurden den Unterzeichnern des Offenen Briefes um die Betrachtung des Umganges mit dem kritischen Musiker Wolf Biermann schwere Sanktionen auferlegt. Viele der Erstunterzeichner wurden aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgewiesen, was damals tragische Folgen haben konnte. Passend dazu der Spruch „Ein Künstler, der nicht provoziert, wird unsichtbar. Kunst, die keine starken Reaktionen auslöst, hat keinen Wert." von Marilyn Manson in „Der Spiegel“ vom 5. Mai 2003. Die wahren Künstler, die in der DDR lebten und Kunst schafften, die bemerkte man auch. An der Tragweite ihrer Kunst. Die Folgen von Veröffentlichungen konnten, wie beim prominenten Exempel Biermanns die Ausweisung bedeuten, aber auch Publikationsverbot sowie Haft. Die DDR-Führung ging phasenweise sehr hart gegen Kritiker vor, auch unter Beteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit, weil sie überzeugt von ihrer absolut unfehlbaren Ideologie und Politik war. Dabei hätte auch ein liberaler Umgang mit Literaten, die offen ihre Meinung sagen, nicht unbedingt die „Staatssicherheit“ gefährden müssen. Dabei wären wir schon wieder bei Seneca, der für Milde in der Beziehung zu politischen Gegnern plädierte oder bei einem Zitat des kürzlich verstorbenen, populären Kolumnisten und Regisseurs Christoph Schlingensief, der im Tagesspiegel vom 23. Januar 2003 äußerte: "Wer den Raum der Kunst benutzen kann, wird so leicht kein Terrorist."

Etwas übertrieben, doch im Grundsatz einleuchtend argumentiert er, wer offen Meinungen publizieren, Medien gebrauchen und Kunst mit Botschaft schaffen darf, der büße an Gefährlichkeit ein, zumindest an Unkontrollierbarkeit. Ich stimme ihm dabei zu, denn ein offen geführter, produktiver Dialog entschärft Fronten wohl besser als verbitterte Kritik aus dem Untergrund und scharfe Verfolgung bzw. Einschränkung, wie es derzeit wohl kaum übersehbar in der chinesischen Medienlandschaft stattfindet.

Weitere Bereiche, in denen Widerspruch, auch bewusst in dem Stil des für die DDR-Literatur typischen sozialen Realismus, geübt wurden stellt die (nicht vorhandene) Umweltpolitik mit der einherghenden Umweltzerstörung dar. Herausragendes Exempel dafür stellt Wolf Spillners „Taube Klara“ dar. Oder Horst Beselers „Die Linde vor Priebes Haus“.

Doch auch im westdeutschen Staat gab es Widerspruch „*…+ zu dem, was ist.“ So wurde beispielsweise in der Zeit der APO (AußerParlamentarische Opposition) nach 1968 viel geschrieben und im Gegensatz zum Nachbarstaat auch immer publiziert, da die BRD als sozialdemokratischer Staat andere Prinzipien verfolgt. Im Grundgesetz wird die Presse- und Meinungsfreiheit (Artikel 5) auch besonders als demokratisches Grundrecht in Schutz genommen. So wandten sich die Schriftsteller des föderalistischen Staates mittels der Literatur gegen Regierung oder generelle Verdrängungstendenzen, wie „Ehen in Philippsburg“, der erste Roman Martin Walsers. Noch im Erscheinungsjahr 1957 erhielt der Autor dafür den Hermann-Hesse-Preis. Walser setzt sich darin satirisch mit dem aufkeimenden Wirtschaftswunder auseinander. Aus derselben Zeit etwa ist der Roman „Billard um halb zehn“ von Heinrich Böll, der den Konflikt zwischen den selbständig denkenden und handelnden Einzelnen und der opportunistischen Mehrheit thematisiert, indem eine Familie über die Aufarbeitung der Rolle während der Naziherrschaft zerbricht.

Rolf Dieter Brinkmann setzt sich in seinem Roman „Keiner weiß mehr“ dokumentarisch mit den Studentenprotesten auseinander, typisches für die auslaufenden Sechziger, in denen eine Politisierung der Literatur erfolgte. Dafür kann als weiteres Beispiel der pseudodokumentarische Roman „Gruppenbild mit Dame“ von Heinrich Böll herhalten, der den Ausschlag zur Verleihung des Literaturnobelpreises gab. Oder „Ansichten eines Clowns“ vom selben Autor. Darin wird eindrücklich beschrieben, wie ein Mann in der an der Nachkriegsgesellschaft zerbricht.

„*…+Widerspruch zu dem, was ist.“ kann sehr weit gedeutet werden. So ist jedoch Kunst im Allgemeinen und Literatur, mit Epik, Lyrik und Prosa, im Speziellen, immer Ausdruck von Ängsten, Bedürfnissen, Wünschen und auch Kritik, sodass geschlußfolgert werden kann, dass Widersprüche dabei unvermeidbar sind. Prominentes Gegenbeispiel ist die früh gescheiterte Bewegung des „Bitterfelder Weg“. Dabei hatte die DDR-Führung versucht eine parteifreundliche Literatur zu etablieren, indem sie Arbeiter dazu mobilisierte, schriftstellerisch in Erscheinung zu treten und gleichzeitig bewusst Kontakte zwischen Schriftstellern und der Fabrikarbeit herstellte, um deren Stil arbeiterfreundlicher zu beeinflussen. Dieser Versuch gelang aufgrund des gegenseitigen Desinteresses und der mangelnden Bereitschaft unter den Arbeitern überhaupt nicht und musste rasch aufgegeben werden.

Gerade in jüngster Zeit, unter den Zeitgenossen Stefan Schützes, trifft die Widersprüchlichkeit kreativer Erzeugnisse gegen vorherrschende Prinzipien und Tendenzen zu, doch ist trotz klarer Intention nicht immer gleich das Gewünschte bewirkt. So zieht Schütz selbstkritisch Bilanz und sagt: „Das nächste Mal kehre ich, wer weiß wie zurück, und hoffe meine kommenden Anschläge werden nicht verpuffen wie in diesem Leben.“

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