Heym, Georg - Berlin (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Georg Heym, Interpretation, Gedichtanalyse, Gedichtprofil, Strophe, Vers, Referat, Hausaufgabe, Heym, Georg - Berlin (Gedichtinterpretation)
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Referat

Interpretation: „Berlin“ von Georg Heym

Berlin III
von Georg Heym

Schornsteine stehn in großem Zwischenraum
Im Wintertag, und tragen seine Last,
Des schwarzen Himmels dunkelnden Palast.
Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum.
 
Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,
Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,
Und auf vereisten Schienen mühsam schleppt
Ein langer Güterzug sich schwer hinaus.
 
Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,
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Die Toten schaun den roten Untergang
11 
Aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.
 
12 
Sie sitzen strickend an der Wand entlang,
13 
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
14 
Zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.

(„Berlin III“ von Georg Heym ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.1 KB) zur Unterstützung an.)

Gedichtinterpretation
Das Gedicht „Berlin“, 1911 von Georg Heym geschrieben, handelt von dem Leben in der Berliner Vorstadt, in dem selbst die Toten keine Erlösung finden können. Das Gedicht besteht aus vier Strophen, von denen die ersten beiden vier Verse haben und aus umarmenden Reimen bestehen. Die letzten beiden Strophen hingegen bestehen nur aus drei Versen, dessen erster und letzter sich reimen. Durch die Verwendung von Worten wie „Wintertag“ und „vereiste Schienen“ erzeugt Heym eine kalte Atmosphäre, die durch die dunkle und trostlose Wirkung des Gedichtes („schwarz“, „roter Untergang“, „Loch“, „schwarzer Himmel“, „kahle Bäume“) unterstützt wird.

Zunächst wird die Berliner Vorstadt beschrieben, deren Schornsteine die Last des dunklen Winterhimmels tragen, der hier mit einem „dunkelnden Palast“ verglichen wird. Dadurch, dass der Himmel als „dunkelnd“ bezeichnet wird, ist anzunehmen, dass gerade die Nacht hereinbricht. Vor diesem schwarzen Hintergrund zeichnen sich die letzten Sonnenstrahlen besonders ab und wirken so wie eine goldene, brennende Treppe in den Himmel hinauf.

In der nächsten Strophe ist von einem Ort die Rede, an dem die „Weltstadt ebbt“, sodass man davon ausgehen kann, dass hier das Leben am Rande der Stadt, also in der Berliner Vorstadt, beschrieben wird (Z.5-6). Der lange Güterzug könnte an dieser Stelle für die vielen Menschen stehen, die diesem Vorstadtleben entfliehen wollen. So wie sich dieser „auf vereisten Schienen mühsam schleppt“, können auch Menschen auf den „vereisten Schienen“ ihres Weges aus der Vorstadt hinaus leicht ausrutschen oder die Anstrengungen nicht aushalten. Selbst die Toten finden in der Vorstadt keine Ruhe. Sie schauen sich aus ihren Gräbern, die eigentlich nur Löcher anstelle von Orten ewiger Ruhe sind, den Sonnenuntergang, der hier auch stellvertretend für den schleichenden Weltuntergang oder den Untergang der Menschheit stehen könnte, an (Z. 9-11).

Dieser Anblick wird mit einem „starken Wein“ verglichen, der bei seinem Konsumenten berauchend wirkt, so wie an dieser Stelle die Toten von dem Himmelsspektakel fasziniert und gefesselt sind. Die Toten stricken „Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein“. Auf die baldige, ewige Ruhe hoffend, stricken sie aus dem toten Material Ruß eine Mütze, die bald ihre Schläfe bedeckt, auf der sie für immer schlafend liegen werden, wenn sie die „goldenen Stufen“ in den Himmel hinaufgegangen sind, die die Sonne an den Abendhimmel gezeichnet hat (Z. 4). Ihre zuversichtliche Stimmung drücken sie damit aus, dass sie die „Marseillaise“ singen, ein Lied, das für Revolution und Freiheit steht.

Heym wollte mit dem Gedicht womöglich auf die aussichtslose Situation hinweisen, in der ein Mensch in der Anonymität der Vorstadt gelebt hat. Armut („Armenkirchhof“) und die Hoffnung auf die Erlösung durch ein besseres Leben außerhalb der Vorstadt scheinen den Alltag der Menschen bestimmt zu haben. Allerdings haben es viele Menschen bis zu ihrem Tod nicht geschafft, der Vorstadt zu entkommen, und suchen noch immer die Erlösung.

Gedichtprofil

Allgemein

  • Name: Berlin III
  • Autor: Georg Heym
  • Veröffentlicht: 1911
  • Epoche: Expressionismus
  • Gattung: Stadtlyrik


Formal

  • Verse: 20
  • Strophen: 5
  • Metrum: dreihebiger Daktylus
  • Reimschema: abba, cddc, efe, fef
  • Reimart: Umarmender Reim, Kreuzreim
  • Kadenz: männlich


Sprachlich/Stilistisch

  • Wortfelder: Gebäude
  • Adjektive: kahl, vereist, schwarz, rot, alt
  • Tempus: Präsens
  • Stilmittel: Enjambement (V.1-2), Vergleich (V.4,11), Personifikation (V.7-8), Neologismus (V.9), Repetitio (V.9), Paradoxon (V.10), Alliteration (V.12))


Erzähler

  • Lyrisches Ich: Nein
  • Perspektive: Auktorial
  • Haltung: neutral

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