Matthisson, Friedrich von - Zuruf (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Friedrich von Matthisson, Gedichtanalyse, Interpretation, Paarreime, umarmender Reim, Referat, Hausaufgabe, Matthisson, Friedrich von - Zuruf (Gedichtinterpretation)
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Referat

Friedrich von Matthisson (1761-1831): Zuruf

Alles kann sich umgestalten!
Mag das dunkle Schicksal walten.
Mutig! Auf der steilsten Bahn.
Trau dem Glücke! Trau den Göttern!
Steig, trotz Wogendrang und Wettern,
Kühn, wie Cäsar, in den Kahn.

Laß den Schwächling angstvoll zagen!
Wer um Hohes kämpft, muß wagen,
Leben gelt es oder Tod!
Laß die Woge donnernd branden:
Nur bleib immer, magst du landen
Oder scheitern, selbst Pilot!

Friedrich von Matthisson, der von 1761 bis 1831 lebte, schrieb das Gedicht „Zuruf“ im Jahre 1829. Nach dem Tod seiner Eltern wurde er bei seiner Tante und seinem Großvater untergebracht, die 1773 starben. Er war zwei Mal verheiratet und sein einziger Sohn starb im Alter von vier Jahren. In dem Gedicht geht es um Aufmunterung durch Zurufen. Da Friedrich von Matthisson moderne und einfache Worte benutzt, lässt es sich leicht lesen und verstehen. Die Thematik erschließt sich unmittelbar beim ersten Lesen.

Der Autor beschreibt das Leben als eine stürmische Fahrt auf dem Meer und führt dabei Begriffe, die mit Schifffahrt zu tun haben, als Unterstützung des Vergleiches an, z.B. Wogen, Wogendrang, Kahn. Durch die sechs Ausrufezeichen wird der Titel des Gedichts noch einmal stark betont. Es sind nicht nur bloße Aussagen, sondern richtiggehende Aufforderungen. Gleich im ersten Satz der ersten Strophe wendet sich der Autor mit einem Aufruf, einem Zuruf, an den Leser. Stünde am Satzende statt einem Ausrufezeichen ein Komma oder gar nichts, käme die Aufforderung nicht so gut zur Geltung. Dies lässt sich leicht nachprüfen, indem man die ersten beiden Zeilen ohne Beachtung der Satzzeichen liest. Egal, wie viele dunkle und unüberwindbar scheinende Seiten das Leben für einen vorsieht, irgendwann wird alles vorüber gehen und sich ändern, sich zum Guten wenden. Das obige Prinzip lässt sich auch auf die dritte Zeile anwenden, nur wurde hier statt einem ganzen Satz nur ein einziges Wort betont. Daran, dass eine solche besondere Hervorhebung sonst nicht im Gedicht zu finden ist, lässt sich erkennen, dass „mutig“ - und auch das zugehörige Substantiv - ein wichtiges Schlüsselwort ist.

Mutig bedeutet keine Angst zu haben. Auf einer steilen Bahn – im Sinne eines Weges – droht immer die Gefahr des Zurückfallens. Nur wer den Weg ohne Angst entlang schreitet, wird es zu etwas bringen. Die vierte Zeile besteht aus zwei Aufforderungen mit ähnlichem Wortlaut. Statt „trau“, also „traue“ oder „vertraue“, hätte Matthisson auch „glaube“ nehmen können: „Glaub an das Glück! Glaub an die Götter!“ Allerdings wäre hier nicht nur der Rhythmus völlig unangebracht, die Bedeutung der zwei Sätze würde auch an Aussagekraft verlieren. „Traue“ wirkt sehr viel stärker als „glaube“ und trägt somit wieder zur besonderen Betonung bei. Das Gedicht arbeitet nicht nur mit Gegensätzen, sondern auch mit Widersprüchen. So kam mir beim Lesen der vierten Zeile der Gedanke: „Ja, was denn nun? Soll ich dem Glück oder den Göttern vertrauen?“ Diese beiden Wörter stellen für mich das absolute Gegenteil voneinander da und sind nicht miteinander vereinbar. Die letzten beiden Zeilen gehören zusammen und sind deshalb als eines, als Einheit, zu betrachten. In der sechsten Zeile fällt zuerstmal das Wort „kühn“ auf, was ein anderer Ausdruck für „mutig“ ist und was, wie oben bereits beschrieben, ein Schlüsselwort ist. Jedoch wird es hier in seiner Bedeutung im Zusammenhang im Satzgefüge etwas geschwächt.

Besonders auffällig in dieser Strophe ist, dass Matthisson Götter und Cäsar erwähnt. Warum gerade diese beiden Begriffe? Hätte er statt Cäsar nicht eine andere wichtige historische Figur wählen können? Eine Verbindung zwischen diesen beiden Wörtern besteht in sofern, dass Cäsar Diktator im Römischen Reich gewesen ist und die Römer nicht an einen bestimmten Gott, sondern mehrere Götter geglaubt haben. Cäsar galt wohl als besonders kühn und mit dem Namen des römischen Kaisers wird auch eine auf einem bestimmten Gebiet führende Persönlichkeit bezeichnet. Man hätte dann auch das Wort „Koryphäe“ als Alternative zu Cäsar nehmen können. Eigentlich wird in jeder Zeile ein Wort besonders hervorgehoben und in der ersten Zeile der zweiten Strophe ist es „Schwächling“. Für ein besseres Verständnis könnte man den Satz auch zeitgemäßer ausdrücken (bewusst etwas salopp): „Nur ein Weichei hat Schiss!“ Die Betonung kommt auch hier gut zur Geltung. Man fühlt sich angegriffen und als prompte Reaktion käme dann das Leugnen der eigenen Schwächen. Im Gedicht ruft die Zeile Gedanken hervor wie: „Die anderen, das sind doch alles Feiglinge und Schwächlinge! Die haben ständig Angst, aber so bin ICH nicht!“ Zur zweiten Zeile, die mit der dritten zusammen hängt, fällt mir ein: „Wer nichts wagt, kann nichts verlieren“. Wer wirklich etwas erreichen möchte – und wer will das nicht? - muss zwangsweise etwas riskieren. Mit „Hohes“ können überpersönliche Werte wie Liebe, Glück, innere Vollkommenheit und Zufriedenheit gemeint sein, aber auch persönliche Ziele wie gute berufliche Leistungen oder eine Familie.

Etwas übertrieben finde ich die dritte Zeile: „Leben gelt es oder Tod!“ Auch dieser Satz ließe sich zeitgemäßer mit „friss oder stirb“ ausdrücken. Im Endeffekt geht es um kämpfen oder untergehen, Leben oder Tod. Man kann dies sogar wörtlich nehmen, sprich Selbstmord. Man leidet so sehr, dass man sich irgendwann umbringt. Aber da der Tod sowieso am Ende jedes Lebens steht, sehe ich die Situation nicht ganz so drastisch wie Matthisson und deute diese Zeile so, dass er damit einfach nur die besondere Dringlichkeit der Gesamtaussage seines Gedichtes hervorheben möchte. Die vierte Zeile, und insbesondere die Woge, zu interpretieren ist etwas komplizierter. Eine Woge ist eine Welle, die durch etwas verursacht werden muss. Dabei spielt es keine Rolle, ob es ein kleiner Kieselstein oder ein riesiger Fels war. Durch verschiedenste Einflüsse kann auch der kleinste Kieselstein ein Unwetter heraufbeschwören (Chaostheorie?).

Wie eingangs beschrieben, vergleicht Matthisson das Leben mit einer Schifffahrt auf dem Meer, wobei das Meer als das Leben an sich bezeichnet werden kann. Versetzt nun ein Kieselstein (= Kleinigkeit) das Meer, also das Leben, in Schwingungen, kann es durch diverse Einwirkungen und unglückliche Zufälle außer Kontrolle geraten. Die Konsequenzen oder das Problem an sich (= Woge) brechen auf einen ein und drohen denjenigen zu erdrücken. Die Schärfe der vierten Zeile wird mit dem Doppelpunkt und der nächsten Zeile wieder etwas entschärt. Die fünfte Zeile ist mit der sechsten durch ein Enjambement verbunden und bietet sozusagen einen Lösungsweg für die Situation in Zeile vier. Egal, ob man es schafft der Welle zu entkommen oder nicht, man ist immer für sich selbst verantwortlich. Jeder rettet seine eigene Haut. Verwirrend an beiden Zeilen sind die Wörter „landen“ und „Pilot“, die man eher mit Flugzeugen in Verbindung bringt. Landen kann man hier aber mit „am sicheren Ufer landen“ deuten. Für „Pilot“ wäre zwar „Kapitän“ ein besseres Wort, aber einem Pilot kommt fast mehr Verantwortung zu. Ein Pilot muss mehr lenken als ein Kapitän, was sich auch wieder auf das Leben übertragen ließe. Zusammengefasst lässt sich das Gedicht also als Ermutigung deuten, vielleicht auch als Aufruf zum Glücklichsein im weiteren Sinne.

Das Gedicht besteht aus zwei Strophen à sechs Zeilen. Das Metrum ist Trochäus, die Betonung liegt also auf der ersten Silbe. In beiden Strophen gibt es zwei Paarreime und einen umarmenden Reim, wobei der umarmende Reim jeweils den zweiten Paarreim umschließt. Die Paarreime enden alle auf weibliche Kadenzen, die umarmenden Reime auf männliche. Es gibt keine besonders auffällige Groß- und Kleinschreibung und auch die Zeichensetzung gibt nicht allzu viel her. Die Ausrufezeichen sollen die Aufforderungen und Zurufe nochmal formell betonen. Die letzten beiden Zeilen der zweiten Strophe sind durch ein Enjambement verbunden, die vierte noch dazu mit einem Doppelpunkt. Sowohl die fünfte und die sechste Zeile der ersten Strophe als auch die zweite und dritte Zeile der zweiten Strophe sind durch ein Komma verbunden.

Für die Interpretation habe ich dieses Gedicht ausgewählt, weil meiner Meinung nach der Glaube und das Vertrauen an und in sich selbst an oberster Stelle stehen sollte. Auch optimistisches Denken und Vorausschauen auf bessere Zeiten halte ich für extrem wichtig. Leider leben und handeln viel zu wenige Menschen nach diesen Vorstellungen. 

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