Schiller, Friedrich - Die Bürgschaft
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Referat
Jana Bülter, Oldenburg, 25. November 1998
Gedichtsinterpretation: „Die Bürgschaft“ (1798) von Johann Christoph Friedrich von Schiller
Die Bürgschaft
von Friedrich Schiller
1 |
Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich |
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Damon, den Dolch im Gewande: |
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Ihn schlugen die Häscher in Bande, |
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»Was wolltest du mit dem Dolche? sprich!« |
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Entgegnet ihm finster der Wüterich. |
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»Die Stadt vom Tyrannen befreien!« |
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»Das sollst du am Kreuze bereuen.« |
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»Ich bin«, spricht jener, »zu sterben bereit |
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Und bitte nicht um mein Leben: |
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Doch willst du Gnade mir geben, |
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Ich flehe dich um drei Tage Zeit, |
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Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; |
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Ich lasse den Freund dir als Bürgen, |
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Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen.« |
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Da lächelt der König mit arger List |
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Und spricht nach kurzem Bedenken: |
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»Drei Tage will ich dir schenken; |
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Doch wisse, wenn sie verstrichen, die Frist, |
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Eh' du zurück mir gegeben bist, |
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So muß er statt deiner erblassen, |
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Doch dir ist die Strafe erlassen.« |
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Und er kommt zum Freunde: »Der König gebeut, |
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Daß ich am Kreuz mit dem Leben |
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Bezahle das frevelnde Streben. |
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Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit, |
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Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit; |
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So bleib du dem König zum Pfande, |
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Bis ich komme zu lösen die Bande.« |
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Und schweigend umarmt ihn der treue Freund |
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Und liefert sich aus dem Tyrannen; |
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Der andere ziehet von dannen. |
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Und ehe das dritte Morgenrot scheint, |
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Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint, |
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Eilt heim mit sorgender Seele, |
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Damit er die Frist nicht verfehle. |
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Da gießt unendlicher Regen herab, |
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Von den Bergen stürzen die Quellen, |
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Und die Bäche, die Ströme schwellen. |
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Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab, |
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Da reißet die Brücke der Strudel herab, |
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Und donnernd sprengen die Wogen |
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Dem Gewölbes krachenden Bogen. |
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Und trostlos irrt er an Ufers Rand: |
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Wie weit er auch spähet und blicket |
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Und die Stimme, die rufende, schicket. |
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Da stößet kein Nachen vom sichern Strand, |
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Der ihn setze an das gewünschte Land, |
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Kein Schiffer lenket die Fähre, |
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Und der wilde Strom wird zum Meere. |
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Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, |
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Die Hände zum Zeus erhoben: |
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»O hemme des Stromes Toben! |
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Es eilen die Stunden, im Mittag steht |
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Die Sonne, und wenn sie niedergeht |
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Und ich kann die Stadt nicht erreichen, |
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So muß der Freund mir erbleichen.« |
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Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, |
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Und Welle auf Welle zerrinnet, |
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Und Stunde an Stunde ertrinnet. |
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Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut |
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Und wirft sich hinein in die brausende Flut |
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Und teilt mit gewaltigen Armen |
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Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen. |
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Und gewinnt das Ufer und eilet fort |
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Und danket dem rettenden Gotte; |
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Da stürzet die raubende Rotte |
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Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort, |
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Den Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord |
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Und hemmet des Wanderers Eile |
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Mit drohend geschwungener Keule. |
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»Was wollt ihr?« ruft er vor Schrecken bleich, |
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»Ich habe nichts als mein Leben, |
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Das muß ich dem Könige geben!« |
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Und entreißt die Keule dem nächsten gleich: |
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»Um des Freundes willen erbarmet euch!« |
76 |
Und drei mit gewaltigen Streichen |
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Erlegt er, die andern entweichen. |
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78 |
Und die Sonne versendet glühenden Brand, |
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Und von der unendlichen Mühe |
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Ermattet sinken die Kniee. |
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»O hast du mich gnädig aus Räubershand, |
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Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, |
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Und soll hier verschmachtend verderben, |
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Und der Freund mir, der liebende, sterben!« |
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Und horch! da sprudelt es silberhell, |
86 |
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, |
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Und stille hält er, zu lauschen; |
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Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, |
89 |
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, |
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Und freudig bückt er sich nieder |
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Und erfrischet die brennenden Glieder. |
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92 |
Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün |
93 |
Und malt auf den glänzenden Matten |
94 |
Der Bäume gigantische Schatten; |
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Und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn, |
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Will eilenden Laufes vorüber fliehn, |
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Da hört er die Worte sie sagen: |
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»Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen.« |
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Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß, |
100 |
Ihn jagen der Sorge Qualen; |
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Da schimmern in Abendrots Strahlen |
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Von ferne die Zinnen von Syrakus, |
103 |
Und entgegen kommt ihm Philostratus, |
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Des Hauses redlicher Hüter, |
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Der erkennet entsetzt den Gebieter: |
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»Zurück! du rettest den Freund nicht mehr, |
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So rette das eigene Leben! |
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Den Tod erleidet er eben. |
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Von Stunde zu Stunde gewartet' er |
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Mit hoffender Seele der Wiederkehr, |
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Ihm konnte den mutigen Glauben |
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Der Hohn des Tyrannen nicht rauben.« |
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»Und ist es zu spät, und kann ich ihm nicht, |
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Ein Retter, willkommen erscheinen, |
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So soll mich der Tod ihm vereinen. |
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Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht, |
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Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht, |
118 |
Er schlachte der Opfer zweie |
119 |
Und glaube an Liebe und Treue!« |
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Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor, |
121 |
Und sieht das Kreuz schon erhöhet, |
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Das die Menge gaffend umstehet; |
123 |
An dem Seile schon zieht man den Freund empor, |
124 |
Da zertrennt er gewaltig den dichter Chor: |
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»Mich, Henker«, ruft er, »erwürget! |
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Da bin ich, für den er gebürget!« |
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Und Erstaunen ergreifet das Volk umher, |
128 |
In den Armen liegen sich beide |
129 |
Und weinen vor Schmerzen und Freude. |
130 |
Da sieht man kein Augen tränenleer, |
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Und zum Könige bringt man die Wundermär'; |
132 |
Der fühlt ein menschliches Rühren, |
133 |
Läßt schnell vor den Thron sie führen, |
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134 |
Und blicket sie lange verwundert an. |
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Drauf spricht er: »Es ist euch gelungen, |
136 |
Ihr habt das Herz mir bezwungen; |
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Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn |
138 |
So nehmet auch mich zum Genossen an: |
139 |
Ich sei, gewährt mir die Bitte, |
140 |
In eurem Bunde der dritte!« |
(„Die Bürgschaft“ von Friedrich Schiller ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren.)
Historischer Kontext:
- Um 1740: Zeitalter des Absolutismus (unbeschränkte Herrschaft eines Fürsten)
- 1756 bis 1763: Siebenjähriger Krieg (Konflikt zwischen den europäischen Großmächten)
- 1776: Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten
- 1782: Erfindung der Dampfmaschine
- 1789: Französische Revolution (bis 1799) (beseitigte das Regime Ludwigs XVI. und wirkte
- 1799: Erfindung der Papiermaschine tief auf das Europa des 19. Jhdts.)
Literaturepoche
Schillers Lyrik wurde maßgeblich von folgenden Epochen bestimmt:
- „Sturm und Drang“ (1767-1785), gekennzeichnet durch jugendliche, revolutionäre Auflehnung gegen die erstarrte Aufklärung, Kult des schöpferischen Genies (vorbereitet durch Rousseau und Shakespeare);
- „Klassik“ (1786-1805), gekennzeichnet durch den Bezug auf die griechische und römische Antike;
- und „Romantik“ (1795-1835), gekennzeichnet durch fantasievolle, schwärmerische Lyrik. Seit 1770 Sammelbegriff für nördlich-germanische und südlich-romanische Kultur im Gegensatz zur Antike.
Biografie Schiller
- 1759: 10. November: Geburt in Marbach am Neckar
- 1764 - 1766: Elementarunterricht in Lorch
- 1767: Eintritt in die Lateinschule in Ludwigsburg
- 1773 - 1780: Militärische Pflanzschule (spätere Hohe Karlsschule)
- 1775: übergang zum Studium der Medizin
- 1779: Erste Dissertation
- 1780: zweite Dissertation, Regimentsmedikus,
- 1781 - 1782: Militärarzt und Poet in Stuttgart
- 1787 - 1788: Aufenthalt in Weimar
- 1788: Erste Begegnung mit Goethe, Berufung als a.o. Professor für Geschichte nach Jena
- 1789: Umzug nach Jena, Freundschaft mit von Humboldt
- 1790: Eheschließung mit Charlotte von Lengefeld (die 2 Töchter mit in die Ehe brachte)
- 1791: Beginn einer schweren Erkrankung (vermutl. Kruppöse Pneumonie mit Rückenfellentzündung)
- 1794: Geburt des ersten Sohnes Karl, Beginn der Freundschaft mit Goethe, Besuch in Weimar
- 1799: Umzug nach Weimar
- 1805: Tod am 9. Mai in Weimar.
Die wichtigsten Werke: Die Räuber (1777-1780), Uraufführung der „Räuber“ (1782), Fiesko, Kabale und Liebe (1784), Don Carlos (1787). Der Infant von Spanien (1787), Götter Griechenlands (1788), Balladen („Das Balladenjahr“ 1797), weitere Balladen, u.a. Die Bürgschaft (1798), Wallenstein (1800), Die Jungfrau von Orleans (1801), Maria Stuart (1801), Die Braut von Messina (1803), Wilhelm Tell (1804)
Formanalyse
Die Ballade „Die Bürgschaft“ besteht aus 20 Strophen mit jeweils 7 Versen . Jeder Vers besteht aus 8 – 10 Silben. Darin sind enthalten:
Anaphern: 4. Strophe (Verse 5 und 7) „ ... bis ich die Schwester den Gatten gefreit, ... bis ich komme, ... „ 9. Strophe (Verse 2, 3, 5 und 6), 10. Strophe (Verse 1, 2 und 6), 12. Strophe (Verse 1, 2, 6 und 7), 13. Strophe (Verse 1, 3, 4, 6 und 7), 14. Strophe (Verse 1, 2 und 4), 18. Strophe (Verse 1 und 2), 19. Strophe (Verse 1, 3 und 5);
Antithese: 19. Strophe (Vers 3) „ ... und weinen für Schmerzen und Freude.“
Enjambements: 1. Strophe (Verse 1-3), 2. Strophe (Verse 1-7), 3. Strophe (Verse 1-2, 4-7), 4. Strophe (Verse 1-7), 5. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 6. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 7. Strophe (Verse 2-7), 8. Strophe (Verse 1-2, 4-7), 9. Strophe (Verse 1-7), 10. Strophe (Verse 1-2, 3-7), 11. Strophe (Verse 2-3, 6-7), 12. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 13. Strophe (Verse 1-7), 14. Strophe (Verse 1-6), 15. Strophe (Verse 1-7), 16. Strophe (Verse 1-2, 4-7), 17. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 18. Strophe (Verse 1-5), 19. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 20. Strophe (Verse 1-5, 6-7);
Reihung: 13. Strophe (Vers 4), „... aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, springt murmelnd ...“;
Apostrophe: 1. Strophe (Vers 4), „„Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!““, 8. Strophe (Vers 3), „„O hemme des Stromes Toben!““ 11. Strophe (Vers 5), 12. Strophe (Verse 4-7), 16. Strophe (Verse 1-2), 18. Strophe (Vers 6);
Hyperbel: 6. Strophe (Vers 1), „„Da gießt unendlicher Regen ...““
Synästhesien: 12. Strophe (Vers 1), „Und die Sonne versendet glühenden Brand,...“, 13. Strophe (Vers 1und 2),
„...da sprudelt es silberhell / ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,...“
Metrum:
Kadenz: In allen Strophen ist die Kadenz im 1., 4. und 5. Vers männlich und im 2.und 3., 6. und 7. Vers weiblich.
Reimstellung: In allen Strophen ist ein umarmender Reim verbunden mit einem Paarreim.
Identische Reime: 17. Strophe (Verse 1 und 4), 20. Strophe (Verse 1 und 5).
Personifizierung: 6. Strophe (Vers 4) „... mit wanderndem Stab, ...“, 13. Strophe (Verse 4-5), „... aus dem Felsen, geschwätzig schnell, springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, ...“, 14. Strophe (Verse 1 und 2), „Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün und malt auf den glänzenden Matten ...“, 15. Strophe (Vers 2), „... ihn jagen der Sorge Qualen; ...“;
Interpretationsangebot
Schiller sah seine Aufgabe als Dichter seiner Zeit, „die verlorene Natur des Menschen vor Augen“ zu bringen. Das „Gebaren“ der Freunde wird in der Ballade selbst eine „Wundermähr“ (vgl. Strophe 19, Vers 5) genannt, und eine Wundermär ist es auch, dass ihr Beispiel einen entmenschten Tyrannen zur Menschlichkeit zurückführt.
Den Stoff für diese Ballade erhielt Schiller von seinem Freund Goethe aus den Erzählungen des „Hyginus“.
Das „übernommene“ sowohl wie das „Erfundene“ und „Gedachte“ der Ballade müssen in den Zusammenhang der Entstehungszeit gerückt werden, in die Zeitgeschichte und in die des Schiller`schen Denkens.
Neun Jahre vor der Fertigstellung der „Bürgschaft“ war der Sturm auf die Bastille, fünf Jahre vorher war Ludwig XVI. enthauptet worden, seit der Hinrichtung Dantons und Robespierres waren vier Jahre vergangen.. Nach Schillers Meinung war die Französische Revolution gescheitert. Er ging davon aus, dass nur die „ästhetische Erziehung des Menschen“ die Voraussetzungen für die Einrichtung einer vernünftigen Ordnung des Staates schaffen würde.
Entsprechend beginnt die Ballade mit einem gescheiterten Revolutionsversuch, dem misslungenen Attentat auf einen Alleinherrscher, dessen Bösartigkeit im Gedicht mehrfach hervorgehoben wird.
Der verhaftete Attentäter nimmt sein Urteil in der Ballade, entgegen der überlieferung, bemerkenswert bereitwillig an und nennt seinen Versuch eines gewaltsamen Attentates sogar ein „frevelndes Streben“ (4. Strophe, Vers 3). Diese Darstellung könnte den überlegungen Schillers entsprungen sein, der in „Die Staatsverbesserer“ feststellte: „So schlimm steht es wahrlich noch nicht um des Staates Gesundheit, dass er die Kur bei euch wage auf Leben und Tod.“ (vgl. Kurzfassung der Xenien, zit. von Jürgen Stenzel, in „Gedichte und Interpretationen“, s. Lit.). Der nur auf Gewalt gegründete Staat verhindere wenigstens die Anarchie und sichere die Existenz des physischen Menschen.
Während der Tyrann in der „Bürgschaft“ die Annahme eines Bürgen sogleich mit der sadistischen Empfehlung zum Verrat am Freunde verbindet, ist dem Attentäter und dessen Freund das Sittengesetz zur fraglosen Natur geworden. Dabei wird deutlich, dem Dichter geht es nicht um Psychologie, sondern um ideales Verhalten: Die feindliche und rohe Natur des reissenden Stromes (6. Strophe), der „raubenden Rotte“ (11. Strophe), der glühenden Sonne (12. Strophe) überwindet der Held mit der letzten Kraft, die ihm der Gedanke an den Freund verleiht.
Eben dieses reine und ideale Handeln bewirkt das, was Schiller von wahrer Poesie sich versprach: die Wiedergeburt der „Menschheit“. Das vorher seine rohe Sensationsgier „gaffend“ (18. Strophe) befriedigende Volk äußert jene wunderbare Rührung, „da sieht man kein Auge tränenleer“ (19. Strophe). Dasselbe widerfährt dem Tyrannen, der vorher an dieses Ideal nicht glauben wollte, nun „ein menschliches Rühren“ spürt und damit gleichsam von Tyrannen zum Menschen verwandelt wird. Folgerichtig bittet er nun um Freundschaft; Freundschaft, die sich nicht befehlen lässt, sie kann nur frei gewährt werden.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit , das hat Gewalt nicht zu erreichen vermocht. Dabei wird Schillers überzeugung deutlich, dass Menschen zu Menschen werden, „wo die Idee der Menschheit sich der Erfahrung offenbart. In der Tat ist für den realistischen Idealisten Schiller jedes wahrhaft poetische Kunstwerk eine Wundermär, denn es ist der einzige Ort, an welchem die Idee in die Welt der Erfahrung zu treten vermag.“ (Stenzel, ebd.).
Quellenangaben
- Friedrich Burschell: Friedrich Schiller in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Hamburg 1987.
- Eberhard Hermes: Abitur Wissen – Lyrik. Frankfurt 1997.
- Eva-Maria Kabisch: Literaturgeschichte. Leipzig 1997.
- Ludwig Reiners: Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch der deutschen Dichtung. München 1990.
- Wulf Segebrecht (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen – Klassik und Romantik. Stuttgart 194.
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