Kirchner, Ernst Ludwig - Belle-Alliance-Platz in Berlin

Schlagwörter:
Perspektive, Interpretation, Bildanalyse, Kunst, Identifikationsbrücke, Polyperspektive, Beschreibung, Sicht, Komposition, Richtung, Malweise, Farbgebung, Stofflichkeit, Referat, Hausaufgabe, Kirchner, Ernst Ludwig - Belle-Alliance-Platz in Berlin
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Referat

Bildanalyse „Belle-Alliance-Platz in Berlin“ von Ernst Ludwig Kirchner


Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Vertreter der expressionistischen Malerei in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Motiven gehören neben seinen zahlreichen Aktbildern vor allem die Berliner Straßenbilder, die unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg entstanden sind. Das Ölgemälde Belle-Alliance-Platz in Berlin (1914) gehört ebenfalls zu diesem Genre.
Obwohl Kirchners Kunst seit etwa 1920 in für moderne Kunst aufgeschlossenen Kreisen feste Anerkennung genoss, wurde sie doch seiner eigenen Meinung nach in der Kunstkritik nicht hinreichend gewürdigt. Deshalb sorgte er selbst für diese Würdigung. Z.B. indem er unter dem Pseudonym Louis de Marsalle verschiedentlich Aufsätze über seine eigene Kunst schrieb und nur denjenigen Kunstschriftstellern das Recht zur kostenlosen Reproduktion seiner Bilder gab, die bereit waren, ihre Texte sich vorher von ihm genehmigen zu lassen.
Nach der Machtergreifung der Nazis wurden in Deutschland 639 Werke Kirchners aus den Museen entfernt und beschlagnahmt, 32 davon wurden im Rahmen der diffamierenden Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt.
Bis vor kurzem war man sich in der Literatur über Kirchner darüber einig, dass sich Kirchner am 15. Juni 1938 mit einem Herzschuss das Leben nahm, weil er über die Diffamierung seiner Werke in Deutschland zutiefst entmutigt war. Inzwischen ist aus Kirchners Schriftwechsel mit seinem Arzt bekannt, dass er seit 1932 morphiumsüchtig war. Vermutlich hat sein Selbstmord auch etwas mit einer von Kirchner forcierten Reduktion seiner Morphiumdosis im Jahre 1938 zu tun.


Bildbeschreibung

Der erste Eindruck, den das Gemälde vermittelt, ist eher entfremdend. Es herrscht eine kalte und erdrückende Atmosphäre, die das Kunstwerk leblos erscheinen lässt. Man hat das Gefühl in eine andere Welt hinein zu schauen, in der es keine Farben und keine Freude zu geben scheint. Die Natur, die Menschen, die Gebäude, alles wirkt distanziert und künstlich.

Beim Betrachten des Gemäldes fällt der Blick als erstes auf den Weg, der den Betrachter in das Sujet hinein zu führen scheint und durch das ganze Bild beinahe bis zum oberen Rand verläuft. Durch seine breite Einmündung, die nach hinten hin immer schmaler wird, macht er das Bild für den Betrachter betretbar. Der Weg dient gleichzeitig als eine Identifikationsbrücke, denn er verleitet den Betrachter dazu durch das Verfolgen seines Verlaufes sich das Bild genauer anzuschauen und zu versuchen sich selbst im Dargestellten zu erkennen, sich mit dem Gemälde zu identifizieren.
Der ausschnitthafte Charakter des Kunstwerks wird an den beiden im Vordergrund abgebildeten Gebäuden sichtbar, die sich jeweils auf der rechten und linken Seite befinden, diese sind nur zum Teil im Bild und lösen dadurch den Eindruck eines Ausschnittes aus. Hinter den beiden Gebäuden erstrecken sich weitere Häusergruppen, die sich auf beiden Seiten nach hinten hin fortsetzen und um den in der Mitte dargestellten Platz herum verlaufen, bis sie im Hintergrund aufeinander treffen. Sie bilden geradezu einen Rahmen um den Platz herum, der nur an einer Stelle, von dem Weg durchbrochen wird, und lassen ihn dadurch eingeengt und bedroht aussehen.
Der Belle-Alliance-Platz setzt sich aus einer Skulptur, die senkrecht zum oberen Rand des Bildes hochragt, und einer Reihe von Bäumen und Gebüsch zusammen, die diese in Kreisform umranden. Durch seine Mitte schlängelt sich der Weg hindurch und teilt diese Komposition in zwei Halbkreis ähnliche Hälften.
Die dargestellten Gestalten, die entlang des Weges angeordnet sind, stellen keinen Bezug zum Betrachter her; durch die Silhouettendarstellung können sie nicht als Identifikationsbrücken dienen, da weder Gesichter noch Gesten erkennbar sind, sondern alle eine einheitliche Erscheinung haben.
Aufgrund der Polyperspektive, kann man keinen eindeutigen Standpunkt, von dem aus die Sicht auf das dargebotene Sujet erfolgt, festlegen. Die Bildelemente werden teilweise aus der „Untersicht“ und teilweise aus der „Aufsicht“ dargestellt. Die Rundbögen der beiden Gebäude im Vordergrund zeigen den Standpunkt von unten betrachtet, der Belle-Alliance-Platz hingegen weckt den Anschein man würde auf ihn von einer Erhöhung oder einem Gebäude hinunterschauen, dabei wirkt er durch diese Perspektive besonders hervorgehoben.



Kompositionsanalyse:

Die Komposition des Gemäldes besteht sowohl aus senkrechten und waagerechten als auch aus diagonalen und gebogenen Linien. Während der Weg durch den Belle-Alliance-Platz einen schrägen Verlauf einnimmt und damit eine Andeutung von Bewegung darstellt, scheinen die Menschen, die vielmehr an senkrechte Linien erinnern, in der Bewegung verharrt zu sein und Stillstand anzudeuten. Die Gebäude, die ebenfalls senkrecht angeordnet sind, vermitteln das Gefühl von Trost- und Leblosigkeit, während der runde Platz in der Mitte sich gerade durch seine Form aus diesem starren Gefüge herauslöst.
Die Richtung im Bild wird durch die diagonal nach hinten aufgereihten Häuser sowie durch den etwas schräg verlaufenden Weg angegeben, dem der Menschenstrom zu folgen scheint, als würde er ein Ziel anstreben.
Außer den diagonal und geschwungen verlaufenden Linien trägt auch die sichtbare und unregelmäßige Malweise zu der Dynamik des Bildes bei; der unterschiedlich stark und in verschiedene Richtungen aufgetragene Pinselduktus lässt das Kunstwerk unruhig und bedrückend erscheinen. Die Farbgebung die sich auf dunkle, getrübte Farben, wie hell- bis dunkel-grün, grau-braun und dunkel-blau, beschränkt, verstärkt diese ungemütliche Stimmung und verdeutlicht zusätzlich die Distanz zwischen dem Bild und dem Betrachter.
Der Belle-Alliance-Platz trägt einen helleren Farbton, als die ihn umgebenden düsteren Gebäude und wirkt dadurch sehr von ihnen eingeschränkt, fast bedroht.
Es erfolgt keine eindeutige Verkleinerung nach hinten, denn man kann nicht genau erkennen, ob die Gebäude im Hintergrund nach hinten hin an Größe verlieren, dies ist jedoch an dem Menschenstrom und dem Weg, der immer schmaler wird, zu beobachten.
Die Bildelemente, die im Vordergrund kräftige Umrisse und Farben haben, werden nach hinten hin undeutlicher und verschwommener, womit man feststellen kann, dass im Bild eine Luftperspektive vorhanden ist.

Interpretation

Im Gemälde „Belle-Alliance-Platz in Berlin“ wird die Persönlichkeit der Stadtmenschen der damaligen Zeit aufgezeigt. Das rege und hektische Leben in der Stadt und ihr Einfluss auf die Bewohner wird dabei verdeutlicht.
Die hohen, scheinbar bis an den Himmel reichenden Gebäude, die den Platz eingrenzen, wirken wie ein Zaun hinter dem die Menschen gefangen gehalten und in ihren Möglichkeiten eingeschränkt werden. Man kann Bewegung und beklemmende Unruhe wahrnehmen, die von dem Bild ausgeht, diese ist allerdings nur auf die Stadt selbst beschränkt. Der vermeintliche Menschenstrom scheint bei genauerem Hinschauen keiner bestimmten Richtung zu folgen, obwohl diese durch die schräge Position des Weges angedeutet wird. Sie haben kein bestimmtes Ziel vor Augen, das sie anstreben, wodurch sie orientierungslos und verloren wirken.
Ihre Persönlichkeit wird durch die Silhouettendarstellung aufgelöst, durch diese Dekadenz wirken alle gleich, gefühllos und leer. Der Abstand zwischen den einzelnen Personen verdeutlicht dies noch mehr. Dadurch wird ein Gefühl von Distanz und Gleichgültigkeit vermittelt, denn durch die Entfernung scheinen sich alle fremd und unwichtig zu sein, es kommt kein Interesse an den Mitmenschen auf, keiner unterhält sich mit dem anderen und jeder schaut in seine eigene Richtung. Es wird ebenfalls kein Eindruck von Zusammengehörigkeit oder Gesellschaftssinn erweckt, jeder ist vielmehr für sich selbst zuständig. Die Menschen scheinen sich an die Kälte der Stadt angepasst zu haben und dadurch der Ignoranz verfallen zu sein.

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